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Saxophonist Kamasi Washington in München Kalkulierte Ekstase

Der hochgelobte Jazz-Hoffnungsträger Kamasi Washington zeigt beim Konzert am 18. Mai in München, wie viel Energie in seiner Band steckt und wie vorhersehbar Ekstase sein kann.

Bildquelle: picture alliance / newscom

"What's up?", das sind seine ersten Worte. Was geht? - Einiges soll gehen, das hoffen die zahlreich in die Neue Theaterfabrik gepilgerten Musikfans am Freitagabend. Kamasi Washington, der von so manchem Feuilleton zur neuen Lichtgestalt des Jazz stilisierte Saxophonist, wird bejubelt. Der breite Hüne in schwarzer Robe mit großem Amulett um den Hals wirkt freundlich und bescheiden. Kamasi Washington gibt sich bei seinem München-Gastspiel auch in der Bühnenshow nicht als spiritueller Guru, eher als respektvoller und zurückhaltender Bandleader, der von Beginn an viel Raum für seine Mitspieler freigibt.

Verheißungsvoller Beginn

Dann startet das mit Spannung erwartete Konzert jazztypisch und mit Überraschungsmomenten. Die erste Konzertpassage erinnert an das kantige Interagieren von Art Blakeys Jazz Messengers. Die Dynamik und auch die Phrasierung wechseln sprunghaft. Laute energetische Linien schlagen um in leise knisterndes Säuseln. Swingende und gerade phrasierte Rhythmen treffen aufeinander, fließen ineinander und etwas Unterschwellig-Subtiles macht dieses Eingroove-Stück zu einem frühen Höhepunkt des Konzerts, das wird im Laufe der 135 Konzertminuten klar. Was zu Beginn an Risikobereitschaft im Raum steht, verfliegt von Stück zu Stück.

Schnell werden die Grenzen des musikalischen Materials deutlich. Washington bedient sich bei den Erkennungssounds des Jazz und der populären Musik des 20. Jahrhunderts: Keyboardklänge von Stevie Wonder, Musicalpomp und Gospelkadenzen, dazu ausgewalzte Jazzzitate von Monks "Round Midnight" bis Coltranes "Love Supreme". Washington kennt die Klänge und die Klischees und reiht sie im emotionsbasierten Setzkasten seiner Musik ziemlich konventionell und erwartbar aneinander.

Die schönsten Sätze und die schwächste Musik

Feierlaune und musikalisch Ansprechendes passiert in Washingtons Komposition "Leroy and Lanisha", eine Huldigung an den wunderbaren Comic-Serien-Träumer Charlie Brown, zu der Kamasi seinen Vater Rickey auf die Bühne holt, dessen Sopransaxophon eine wohltuende Frische und Leichtigkeit hineinbringt. Man fühlt sich an Wayne Shorters Jubilieren in so manchem Stück von "Weather Report" erinnert. Interessant dabei: Vater und Sohn benutzen sehr ähnliche Steigerungsmechanismen, Triolen-Figuren, die sich von Achtel- zu Sechzehntel-Triolen verdichten und chromatisch nach oben verschoben werden. Deren Wirkung ist leicht vorauszusehen und der gewünschte Schub-Effekt entsteht auf den Punkt. Das ist auch das Problem des langen Konzertes, denn was nun folgt ist die kalkulierte Ekstase.

Rickey Washington, Flöte, Kamasi Washington, Tenorsaxophon, Ryan Porter, Posaune, bei einem Konzert 2017 in der italienischen Stadt Molfetta | Bildquelle: picture alliance/ZUMA Press Nach einer großartigen Ansage, in der Washington mit dem berührenden Aufruf schließt, wir sollten die Vielfalt auf unserer Erde nicht nur tolerieren, wir sollten sie zelebrieren, verliert die musikalische Darbietung ihre anfängliche Verheißung. Das Stück "Truth" ist ein Paradebeispiel dafür, wie durchgeplant und vorhersehbar Washingtons Musik häufig ist. Auf das Thema, in dem sich fünf unterschiedliche Melodien begegnen, folgt ein ausladendes Tenorsaxophonsolo, das man im Lehrbuch zum Thema "Steigerung" finden könnte. All die oben beschriebenen Figuren und Mittel hört man darin. Die Band trägt diese Kulmination perfekt mit. Aber wo ist die Überraschung, wo ist der Moment, in dem sich etwas bricht? Wann passiert etwas, das nicht zu erwarten war?

Das, was die improvisierte Musik in ihren Grundfesten ausmacht, kommt nicht vor. Hier gibt es kein Risiko. Die Reise ist vorbestimmt und trifft natürlich den Nerv der Zuhörer, keine Frage, so funktioniert die emotionale Ebene der Musik. Aber nur Energie und viele Töne reichen nicht. Das Öffnen, die neuen Wege und das, was Miles Davis immer wollte, das zu spielen, was man noch nicht kennt und nicht geübt hat, das passiert bei Kamasi Washington nicht.

Aus laut wird langweilig

Zu diesem Zeitpunkt sind schon mehr als sechzig Minuten vergangen und Musik ohne Überraschung führt zu Langeweile. Zwar spielen alle Beteiligten auf hohem Niveau und mit unbändiger Energie, allen voran Bassist Miles Mosley, aber zu heftiger Schalldruck aus den Boxen, der fast die großen Spiegeltüren der Neuen Theaterfabrik klirren lässt, schränkt das Hörvergnügen doch ein. Auch spürt man mit zunehmender Konzertlänge die Nachwirkungen der dreizehn Konzerte, die die Band in den letzten sechzehn Tagen gegeben hat.

Technische Mängel schleichen sich ein, die Intonation der Bläser wird merklich schwächer. Die von Vater Rickey Washington gespielte Querflöte ist eher ein optisches Element, zu hören ist sie bei der hohen Grundlautstärke selten. Die beiden Schlagzuger Robert Miller und Tony Austin donnern gewaltig, aber nicht übermäßig. Pianist Brandon Coleman lässt virtuos die Finger über die Tasten fliegen, Zwischentöne, die aufhorchen lassen, gibt es selten.

Die spirituelle Ebene fehlt

Die so oft beschworene spirituelle Ebene der Musik fehlt, daran kann auch die Power-Hymne "Fist of Fury" am Ende des Konzerts, in der Sängerin Patrice Quinn ihren großen Auftritt hat, nichts ändern. Kurz vor 23:00 Uhr ist dann Schluss. Eine Zugabe gibt es nicht. Noch während die riesigen Kronleuchter in der Neuen Theaterfabrik angehen, baut ein Techniker bereits die Mikrophone ab.

Großartig, dass ein Musiker, dessen CDs im Bereich "Jazz" im Plattenladen stehen, eine Halle mit rund tausend Menschen im Alter von 17 bis 70 füllen kann. Da ist Kamasi Washington hoffentlich ein Türöffner für den Jazz. Schade aber, dass seine Musik die Erwartungen nur zu einem Teil erfüllen kann.