"If you don't mind, we'd like to play something for you": Da ist sie, die brüchig-heisere Stimme jenes Mannes, der dieses Sprechorgan nur höchst selten öffentlich nutzte. Der Satz leitet eines der Stücke dieser CD ein – und soll suggerieren: Er, der schwarze Prinz des Jazz, der Perfektionist mehrerer Stile des Jazz nach 1950, der ästhetische Fixpunkt vor allem afroamerikanischer Jazzmusiker bis in die Gegenwart, sei hier Wortführer und auch ästhetischer Kopf gewesen. Inwieweit das wirklich zutrifft, ist jedoch die Frage.
1985, also vor 34 Jahren, nahm Miles Davis Musik auf, die drei Produzenten jetzt als Grundlage für eine komplette CD verwendet haben. Diese Produzenten sind die damals schon beteiligten Attala Zane Giles und Randy Hall – und Miles Davis' Neffe, der Schlagzeuger Vince Wilburn Jr., der damals auch schon mitspielte und von dem sich der mit ihm unzufriedene Miles Davis später trennte. Sie haben "Rubberband" jetzt auf den Weg gebracht – in einem Moment, in dem spektakuläre Ausgrabungen gerade in der Jazzwelt gute Konjunktur haben. Immerhin feierten Kritiker ein vor einem Jahr erschienenes "Lost Album" des großen Saxophonisten John Coltrane als aufschlussreiches Meisterwerk: "Both Directions At Once", galt vielen als Glücksfund, als "Missing Link" in der stilistischen Entwicklung des Musikers. Eine Ausgrabung aus dem Schaffen der funkelnden Jazz-Ikone Miles Davis liegt da gut im Trend. (Und ein weiterer gehobener Schatz von John Coltrane ist ebenfalls schon auf dem Weg: "Blue World" soll am 27. September erscheinen.)
Damals war der Trompeter gerade von seiner ursprünglichen Plattenfirma Columbia zur Konkurrenz von Warner Brothers gewechselt. Er habe mit Chaka Khan, Al Jarreau und seiner eigenen Band ein Popmusik-Album verwirklichen wollen. Doch dann fand das Label zusammen mit dem Produzenten Tommy LiPuma ein anderes künstlerisches Profil des Trompeters besser. Unter der musikalischen Leitung des Bassisten und Multitalents Marcus Miller wurde das Album "Tutu" produziert: mit Musik, in der die oft flüsternde und prägnante Kürzel von sich gebende Trompete von Miles Davis wie eine geheimnisvolle Sprechstimme wirkt. Das Album, das dem südafrikanischen Geistlichen Desmond Tutu gewidmet war, wirkte wie ein Soundtrack afroamerikanischer Identität.
Und nun also "Rubberband" als Dokument von Miles Davis' Weg zu diesem sehr erfolgreichen Album? Ebenfalls ein Missing Link? Man hört – und ist erstaunt. Gleich im ersten Stück die Röchelstimme des Meisters, der das Wort "Rubberband" mehrmals rhythmisch haucht. Schwere Rhythmen, punktuelle Töne der gestopften Trompete – und die Singstimme der neu hinzugeholten Ledisi. Danach eine Mischung aus Songs und Instrumentalstücken, die nicht wirklich ein System erkennen lässt: der mit vielen Keyboard-Sounds angefüllte Funk-Groove, wie man ihn aus Miles Davis' Konzerten der mittleren 1980er Jahre kannte, dazu die energiegeladene E-Gitarre von Mike Stern in Nummern wie "This is it", "Give it up" und "Maze". Wir hören aber auch gefühlige Songs, die zumindest für Fans des klassischen Miles Davis wie ein Kulturschock anmuten – zum Beispiel fröhlich-plätschernde Steel-Drum-Klänge und ein kitschiges Akustik-Gitarren-Motiv in einem Stück namens "Paradise", ein Background-Chor haucht dazu stetig "Aah", und die Trompete scheint das Ganze mit expressiven Läufen konterkarieren zu wollen. Softigen Soul-Schmelz verbreitet Sängerin Lalah Hathaway, und einmal verkündet die Samtstimme des Produzenten und Musikers Randy Hall mit vielen lasziv eingestreuten "Oh Yeahs" die Botschaft: "I Love What We Make Together". Ist das Miles Davis?
Sendung: Leporello am 18. September 2019 ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK