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Anne-Sophie Mutter - 40 Jahre Salzburger Festspiele "Ich weiß nicht, ob ich ein Vorbild bin"

1976 kam es für Anne-Sophie Mutter zu der schicksalhaften Begegnung mit Herbert von Karajan. Der Dirigent war von ihrem vollkommenen Spiel so begeistert, dass er beschloss, "das Phänomen" zu fördern. Ein Jahr darauf stand Anne-Sophie schon auf der Bühne der Salzburger Festspiele - zusammen mit dem Maestro. Für BR-KLASSIK blickt die Geigerin auf 40 Jahre bewegter Geschichte zurück.

Bildquelle: © Monika Höfler

BR-KLASSIK: Anne-Sophie Mutter, Sie haben vor 40 Jahren, 1977, bei den Pfingstkonzerten der Salzburger Festspiele, damals unter der Leitung von Herbert von Karajan, in Salzburg debütiert. Wenn Sie jetzt wieder in Salzburg spielen - ist die Erinnerung daran noch da?

Anne-Sophie Mutter 1977 beim Salzburger Pfingstkonzert unter Herbert von Karajan | Bildquelle: imago/ZUMA/Keystone Anne-Sophie Mutter: Ja natürlich, die ist immer da. Auch wenn ich privat in Salzburg bin und am Herbert-von-Karajan-Platz vorbeigehe, erinnere ich mich jedes Mal daran, wie damals immer ein Ruck durch uns Musiker fuhr, wenn wir den Porsche des Meisters dort geparkt sahen und uns durch den Kopf schoss: "Oh oh, jetzt müssen wir wohl noch einen Scheit drauflegen".

Salzburg ist für mich untrennbar nicht nur mit Mozart, sondern ganz besonders mit Herbert von Karajan verbunden. Er hat ja das Oster- und Pfingstfestival ins Leben gerufen. Und dieser Anspruch, dass nur die besten Künstler dort auftreten sollen, der wohnte den Festivals schon damals inne. Es ist einer der bedeutenden Festivalorte der Welt. Und ein kleiner Gedanke an Herbert von Karajan ist sowieso immer dabei, auch wenn ich außerhalb von Salzburg konzertiere, weil sein Wissensschatz und sein Qualitätsanspruch an sich selbst und auch an seine Mitmusiker immens hoch war - und man ein Leben lang davon zehren kann.

BR-KLASSIK: Wenn Sie heute auf die 40 Jahre zurückblicken - was hat sich im Musikgeschäft verändert?

Anne-Sophie Mutter: Ich glaube, unser Verständnis für zeitgenössische Musik hat sich vertieft, die Fähigkeit, sich Neuem zu stellen, ist geradezu modern und hip geworden. Auf der anderen Seite ist die historisch informierte Aufführungspraxis sehr populär geworden - zurück zu den Wurzeln und liebgewonnene Spielgewohnheiten überdenken. Das hat sich sehr stark weiterentwickelt in den letzten 30 bis 40 Jahren.

Musik ist ein Abbild unserer Gesellschaft.
Anne-Sophie Mutter

Es gibt insgesamt mehr Musiker, mehr Konzerte, aber auch weniger Bildung. Da geht die Schere auseinander und dafür zahlen wir inzwischen auch einen hohen Preis. Die Klassik ist weitestgehend aus den Medien verschwunden. Man muss schon richtig suchen oder eben spät abends noch wach bleiben, um mal eine Konzertübertragung zu sehen. Es krankt natürlich auch am Nachwuchs der Zuhörer. Denn wenn es nur noch die Aufgabe der Eltern ist, Klassische Musik als etwas ganz Natürliches wie Lesen, Schreiben und Fußballspielen einem Kind mit an die Hand zu geben, dann wird es wieder superelitär und elfenbeinturmmäßig. Und da wollen wir überhaupt nicht hin. Denn Musik macht wahnsinnig viel Freude - nicht nur den Musikern, sondern auch den Zuhörern. Sie ist auch ein Abbild unserer Gesellschaft und sie ist voll dichter Emotionalität und tiefer Menschlichkeit.

BR-KLASSIK: Bei Ihrem Konzert in Salzburg spielen Sie einige französische Werke, aber auch Mozart. Man sagt ja: Mozart könne man nur richtig spielen, wenn man genug Erfahrung hat. Sie haben Erfahrung. Hat Ihr Spiel sich dadurch verändert?

Anne-Sophie Mutter: Ja, durchaus. Wissen schadet nie - vor allen Dingen, wenn man dann auch noch Instinkt und Emotion zulässt. Es ist eine Frage der Balance, das heißt aber nicht, dass ein Kind nicht intuitiv sehr vieles erfassen kann. Es geht dann darum, das Ganze auf etwas fundiertere Füße zu stellen: dass man noch subtiler zuhört, die Partitur besser lesen kann. Aber wird man mit Erfahrung ein besserer Musiker? Ich glaube nicht. Es ist immer eine Frage der Liebe zu dem, was man tut. Und letzten Endes auch des Loslassens im Moment des Konzerts: dass man in der Lage ist - zwar mit einem Konzept - aber auch sehr offen und mit Hingabe, an die Musik heranzugehen. Und dann ist es immer wieder ein Versuch, dem Werk so nahe zu kommen, wie es Mozart vielleicht gefallen würde. Aber das "Vielleicht" bleibt immer im Raum.

BR-KLASSIK: Sie nehmen eine wichtige Rolle in der Musikwelt ein - aber auch darüber hinaus. Musiker sind immer wieder Vorbilder in musikalischer Hinsicht, haben aber auch eine gesellschaftliche Funktion. Ist das eine Rolle, die Sie gerne übernommen haben: Vorbild zu sein?

Anne-Sophie Mutter im Club "Neue Heimat" in Berlin. | Bildquelle: Stefan Höderath / DG

Anne-Sophie Mutter: Puh, ich weiß nicht, ob ich ein Vorbild bin. Ob ich überhaupt Vorbild sein kann und will. Ich habe ja schon früh Yehudi Menuhin gehört. Und das hat wahrscheinlich entscheidend dazu beigetragen, dass ich es auch mal selber ausprobieren wollte. Und dann hat mir meine Mutter sehr früh erzählt, dass Yehudi Menuhin der erste jüdische Musiker war, der nach dem Zweiten Weltkrieg zurück nach Deutschland kam und Konzerte spielte. In der Art der Schilderung - da muss ich zehn oder elf gewesen sein - habe ich gespürt und auch verstanden, dass Musik noch sehr viel mehr ist als nur das Spielen eines Werkes. Es ist eben auch eine Brücke zwischen uns.

Wenn der Komponist und auch der Interpret seine Seele in einem Konzert verströmt, dann ist es - das klingt jetzt pathetisch, aber so empfinden es die meisten von uns - eine Umarmung an die Menschheit. Es ist ein Versuch, eine Basis der Gemeinsamkeit zu finden, auf der ein Dialog stattfinden kann, über alle kulturellen Unterschiede und religiösen Mauern hinweg. Das ist, was viele Musiker bewegt. Und das ist der Grund, warum wir uns auch sozial engagieren und etwas Sinnvolles in der Gesellschaft bewegen wollen: etwa mit Benefizkonzerten Waisenhäuser, SOS-Kinderdörfer in Aleppo usw. zu unterstützen. Es sind natürlich alles nur winzige Tropfen auf einen sehr heißen Stein. Aber wie Mutter Teresa so schön sagte: Viele Tropfen füllen irgendwann einen Krug. Und wenn wir alle da 'rein tropfen, dann geht es aufwärts.

Das Interview führte Elgin Heuerding für BR-KLASSIK.

Anne-Sophie Mutter bei den Salzburger Festspielen 2017

26. August 2017, 21.00 Uhr, Großes Festspielhaus

Sebastian Currier: Clockwork Orange für Violine und Klavier
Wolfgang Amadeus Mozart: Sonate für Klavier und Violine A-Dur KV 526
Maurice Ravel: Sonate für Violine und Klavier G-Dur
Francis Poulenc: Sonate für Violine und Klavier FP 119
Camille Saint-Saëns: Introduction et Rondo capriccioso op. 28

Anne-Sophie Mutter (Violine)
Lambert Orkis (Klavier)

Sendung: Leporello am 24. August 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK