Es ist ein unendlicher Trauerzug, der sich Punkt 14.30 Uhr vor dem schwarz ausgekleideten Sterbezimmer in Bewegung setzt. Tausende von Menschen säumen die Straßen. Alle erweisen sie dem in ganz Europa berühmten Komponisten Johannes Brahms die letzte Ehre.
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Delegationen des Hamburger Senats, der Berliner Philharmoniker und der Berliner Akademie der Künste sind da, Professoren und Schüler des Konservatoriums, Vorstände aller in- und ausländischen Musikgesellschaften, Dirigenten wie Felix Weingartner und Arthur Nikisch, die Komponisten Antonín Dvorák und Feruccio Busoni, der Verleger Fritz Simrock, schließlich der Wiener Kreis mit Max Kalbeck, Julius Epstein, Ludwig Bösendorfer und anderen.
Wenn mir eine hübsche Melodie einfällt, ist das mir das lieber als ein Leopoldsorden.
Angeführt wird der Trauerzug von einem berittenen Standartenträger mit lorbeergeschmücktem Banner - dahinter Laternenreiter, sechs Blumenwagen mit Kränzen und Gebinden und schließlich der von Windlichtern umgebene gläserne Sarg. Was für ein Prunk! Ob Brahms mit diesem Staatsakt glücklich gewesen wäre? Er, der unprätentiöse Künstler, der einen einfachen Lebensstil bevorzugte, seine Orden in einer Schuhschachtel aufbewahrte und über seine zahlreichen Auszeichnungen nur lakonisch äußerte: "Wenn mir eine hübsche Melodie einfällt, ist das mir das lieber, als ein Leopoldsorden." Jetzt liegen die Orden auf einem roten Samtkissen ausgebreitet. Und die Zeitungen zählen Brahms' Ehrenmitgliedschaften auf.
Nach drei Stunden erreicht der Menschenstrom endlich den Zentralfriedhof. Fackelträger begleiten den Sarg zum offenen Grab. Doch Brahms wird noch einmal umgebettet. Die ewige Ruhe findet er erst einige Wochen später in einem Ehrengrab - ganz nah bei Beethoven und Schubert.
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