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Pest, Spanische Grippe und Co – die etwas andere Playlist Wie Komponisten Pandemien verarbeitet haben

Auf Youtube sind sie gerade überall zu finden: "Corona-Songs" von Musikern und Musikerinnen, die die Situation kreativ verarbeiten. Der gesellschaftliche Ausnahmezustand spiegelt sich in der Musik – wie auch schon in früheren Zeiten: Auch Pandemien der Vergangenheit haben ihre Spuren in der Musikgeschichte hinterlassen. Wir zeigen Ihnen einige Beispiele.

Bildquelle: picture alliance / DUMONT Bildarchiv

Mitte des 14. Jahrhunderts hat die Pest die Welt im Würgegriff. 25 Millionen Menschen sterben innerhalb von sieben Jahren allein in Europa, ein Drittel der gesamten Bevölkerung. Die Allgegenwart des "Schwarzen Todes" schlägt sich im Bild vom Totentanz nieder: Der Tod umgarnt und verführt die Lebenden mit Musik und Tanz, bis sie sich ihm ergeben.

Camille Saint-Saëns: "Danse macabre"

Diese Idee des Totentanzes – ein Topos der Literatur und der Bildenden Kunst – hat viele Komponisten inspiriert: Im 19. Jahrhundert etwa die beiden Stücke mit dem Titel "Danse macabre" von Franz Liszt und Camille Saint-Saëns, im 20. Jahrhundert zum Beispiel "Totentanz" von Hugo Distler. Und erst vor wenigen Jahren wurde die Kantate "Totentanz" des englischen Komponisten Thomas Adès uraufgeführt.

Hugo Distler: "Totentanz"

Das musikalische Nachbeben der Pest beschränkt sich jedoch nicht auf das Bild vom Totentanz. Guillaume de Machaut, einer der größten Dichter und Komponisten des 14. Jahrhunderts, irritiert in seiner Musik mit herben Dissonanzen und eckigen Rhythmen und bricht mit vielen Regeln seiner Zeit – womöglich als musikalischer Ausdruck von Angst und Verunsicherung durch die Pest, die er selbst miterlebte.

Guillaume de Machaut: "La Messe de Nostre Dame"

Auch in späteren Jahrhunderten wütete die schwarze Seuche in Teilen von Europa – das hat in verschiedenen Gattungen seine Spuren in der Musik hinterlassen. So spielt etwa die Handlung von Jacques Fromental Halévys 1838 uraufgeführter Oper "Guido et Ginevra, ou La Peste de Florence" (Guido und Ginevra, oder Die Pest in Florenz) im Jahr 1552: Ein Mord soll verheimlicht werden, indem man ihn wie einen Pesttod aussehen lässt.

Jacques Fromental Halévy: aus "Guido et Ginevra, ou La Peste de Florence"

Rund hundert Jahre danach – Mitte des 17. Jahrhunderts – wurde die ewige Stadt Rom von der Pest bedroht. Um die Katastrophe durch die Kraft der Musik abzuwenden, beauftragte Papst Alexander VII. den Komponisten Orazio Benevoli mit einer Messe: Diese Missa "In angustia pestilentiae", in der Beklemmung der Pest, erlebte ihre Uraufführung im Jahr 1656 hinter den verschlossenen Türen des Petersdoms.

Orazio Benevoli: aus der "Missa In angustia pestilentiae"

So wie die Pest in Mittelalter und Renaissance, fanden auch die Pandemien des 20. Jahrhunderts ihren Nachhall in der Musik. Das gilt etwa für die Spanische Grippe, die ab 1918 in mehreren Wellen viele Millionen Menschenleben forderte. Der polnische Komponist Karol Szymanowski war auch an der Spanischen Grippe erkrankt, überlebte sie jedoch und begann während dieser Zeit die Arbeit an seiner Oper "König Roger". Sie erzählt von der Selbstfindung des mittelalterlichen Königs Roger II. von Sizilien, zwischen Rausch, Religion und Sittenstrenge – eine autobiografisch gefärbte Sinnsuche in einer Zeit der tiefen gesellschaftlichen und persönlichen Verunsicherung.  Das Drama, so schrieb Szymanowski, "stand mir in einer schlaflosen Spanische-Grippe-Nacht plötzlich vor Augen."

Karol Szymanowski: Roxanas Lied aus "König Roger"

Am Ende des 20. Jahrhunderts brachten HIV und die Krankheit AIDS wieder die Endzeitängste einer Pandemie in die Welt. Der Komponist Peter Eötvös hat in seiner Oper "Angels in America" nach dem gleichnamigen Schauspiel von Tony Kushner die verschiedenen Facetten des Themas eindringlich in Töne gekleidet und daraus ein zeitloses Stück Musiktheater gemacht. So wie das Libretto Realität und Halluzination, Leidenschaft, Leid und Humor zu einer Erzählung verschmilzt, so verzahnt Eötvös Elemente aus Moderne, Jazz, Rock, Musical und Geräuschcollagen zu einer universalen Klangsprache: in einem Stück, das bei aller Tragik doch zu einem beinahe glücklichen Ende findet und damit auch für die Corona-Krise Mut machen kann.

Peter Eötvös: "Angels in America"

Sendung: Allegro am 23. April 2020 ab 6.05 Uhr