Erst als junger, fescher Dirigent und bald als Operettenkomponist erobert Franz Lehar das Wiener Publikum im Sturm. Seine "Lustige Witwe" mit ihrer raffinierten Verknüpfung von Modernität und Erotik, ihrem neuen Frauenbild und den unwiderstehlichen Ohrwürmern wird zu einem globalen Massenphänomen. Mit Lehár erlebt das ganze Genre eine Konjunktur bisher unbekannten Ausmaßes und beherrscht bald die Bühnen der Welt. Zum 150. Geburtstag von Lehár am 30. April hat BR-KLASSIK-Redaktion für Sie seine größten Hits zusammengestellt.
Piotr Beczala, Philharmonia Zürich, Fabio Luisi, Opernhaus Zürich, 2017
Franz Lehárs wohl größter Hit war ursprünglich nur eine Phrase im Finale seiner Operette "Die gelbe Jacke" (1923). Erst der Tenor Richard Tauber entdeckte darin das Schlagerpotential und überredete den Komponisten zur Umarbeitung der ganzen "Gelben Jacke" zum "Land des Lächelns" - mit "Dein ist mein ganzes Herz" als zentraler Nummer. Lehár hat das Lied Tauber zugeeignet und sein Kollege Piotr Beczala hat Taubers Repertoire 2013 eine ganze CD gewidmet. Er ist unter den aktuellen Tenören derjenige, der Tauber am nächsten kommt. Das zeigte er vier Jahre später auch in Andreas Homokis Inszenierung des "Lands des Lächelns" am Opernhaus Zürich, aus der auch der folgende Ausschnitt stammt.
Anna Netrebko, BBC Symphony Orchestra, Jiři Bĕlohlávek, Last Night of the Proms, 2007
Die Titelrolle in seinem letzten Bühnenwerk "Giuditta" hat Franz Lehár für die blendend aussehende tschechische Sopranistin Jarmila Novotna geschrieben. Höhepunkt der Sensations-Uraufführung im Wiener Operntheater war 1934 ihr Auftritt als Tänzerin mit "Meine Lippen, sie küssen so heiß". Denn Novotna konnte nicht nur singen, sondern auch tanzen. Und das ist in der Operette mindestens ebenso wichtig! Deshalb ist auch für diese erotische Glanznummer Anna Netrebko die Traumbesetzung, wie sie schon beim Wiener Opernball 2004 bewiesen hat. Ihr Auftritt mit Blumenbouquet bei den Last Night of the Proms 2007 stellt allerdings selbst das in den Schatten.
Richard Tauber, Mitglieder der Staatskapelle Berlin, Franz Lehár, 1929
"Die Stimme, die ich beim Komponieren höre." Das sagte Franz Lehár über Richard Tauber, jenen Sänger, dem er seine letzten sechs Werke auf den Leib komponiert hat. Und Tauber hat in seinem ganzen Sängerleben keine Rolle so oft gesungen wie die des Prinzen Sou-Chong in Lehárs "Land des Lächelns". Sein Auftrittslied ist keine Bravourarie wie "Dein ist mein ganzes Herz", sondern ein dunkles Psychogramm einer Figur, die den modernen Zweispalt zwischen Selbstinszenierung und eigener Befindlichkeit verkörpert, ein Memento der Entfremdung. Für Lehár selbst war es ein Bekenntnis: "Wie's da drin aussieht, geht niemand was an!"
Mizzi Günther und Louis Treumann, die Uraufführungsbesetzung in einer Schelllackaufnahme von 1906
Keine andere Nummer der Operettengeschichte hatte weltweit eine solche Wirkung auf ihre Zeitgenossen wie dieser Walzer. In den USA sprach man vom "Merry-Widow-Waltz-Craze", vom Witwen-Walzer-Wahn. Es gab Wettbewerbe für die besten Tanzpaare und unzählige Hochzeiten, die dabei zustande kamen. Schon bei der Wiener Uraufführung 1905 war es diese Melodie, die das Publikum auf dem Nachhauseweg pfiff. Dabei hatte sie damals noch gar keine Text, sondern war Teil einer Szene im zweiten Akt, die zum großen Teil aus Dialog und Tanz bestand und nur zum geringeren Teil aus Gesang. Zum Glück hat sich eine Aufnahme davon auf Schelllackplatte erhalten, auf der die Originalbesetzung Mizzi Günther und Louis Treumann zu hören ist, wie sie die Szene leicht modifiziert nachspielt. Ein einzigartiges Dokument historischer Aufführungspraxis, das nicht nur zeigt, dass die Operette vor allem ein Theatergenre ist, sondern auch einen für deren Geschichte historischen Moment festhält: "Als zum ersten Mal Herr Treumann Frau Günther beim Halse fasste und so mit ihr freischwebend kreiselnd tanzte, da war das geradezu eine Operettentat."
Johannes Heesters, Orchester des Admiralspalasts, Werner Schmidt-Boelcke, 1940
"Ein sonderbares Denkmal aus der Liebeswelt des Frou-Frou, das treuer die Züge seiner Epoche bewahrt als irgend einer der gegenwärtigen Schlager,“ schrieb der Philosoph Theodor W. Adorno 1934. Und auch Thomas Mann war fasziniert von diesem Auftrittslied des Grafen Danilo aus der "Lustigen Witwe" und beschreibt in den "Bekenntnissen des Hochstablers Felix Krull", welch überwältigenden Eindruck dieser "bezaubernde Schwerenöter" auf den Romanhelden macht: "Mit silberner Stimme sprechend und lachend, entledigte er sich seiner Handschuhe, und trällerte den ersten Vers eines Liedes, das die außerordentliche Leichtigkeit und Heiterkeit seines Lebens als Attaché und Schürzenjäger schilderte." Ähnlich muss auch Sylvester 1938 im Münchner Gärtnerplatztheater die Wirkung gewesen sein, als Johannes Heesters den Danilo spielte und damit die Rolle seines Lebens gefunden hatte. Nicht weniger als 7 mal soll ihn Adolf Hitler in dieser Revue-Inszenierung seiner Lieblingsoperette gesehen haben. Seitdem ist kein Interpret mit einem Lied so eng verbunden wie Johannes Heesters mit dem Maximlied.
Fritz Wunderlich, Berliner Symphoniker, Alois Melichar, 1957
Als mit Abstand meist gewünschter Titel führte das Wolgalied aus dem "Zarewitsch" lange die Hitlister der deutschen Radio-Wunschkonzerte an. Das hatte weniger mit der weiberscheuen Titelfigur von Lehárs Operette zu tun, sondern mit dem "Soldaten am Wolgastrand", den er besingt. Denn nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1940 war aus dem fiktiven Operettensoldaten ein sehr realer Wehrmachtssoldat geworden, der nach der anfänglichen Siegeseuphorie bald "einsam, allein" am Wolgastrand stand und sich nach Kriegsende in russischer Gefangenschaft befand. Einmal mehr wurde die Operette von der Geschichte eingeholt und niemand hat dies in der Nachkriegszeit betörender zum Ausdruck gebracht als Fritz Wunderlich in dieser frühen Aufnahme aus dem Jahr 1957.
Elina Garanca, Orchestra Sinfonica Nazionale della Rai, Karel Mark Chichon, 2010
Dafür dass Franz Lehár zeitlebens großen Wert darauf legte, als Ungar zu gelten, hat er erstaunlich wenige ausgesprochen ungarische Operetten geschrieben, nämlich nur zwei: "Zigeunerliebe" (1910) und "Wo die Lerche singt" (1918). Während letztere außerhalb Europas kaum Verbreitung fand, war "Zigeunerliebe" Lehárs letzter internationaler Erfolg vor dem Ersten Weltkrieg. Die romantische Operette enthält auch Lehárs besten Csárdás, den er freilich erst für die Budapester Erstaufführung nachkomponiert hat und der im Original "Messze a nagy erdő" hieß. Elina Garanca singt ihn hier auf Deutsch und passt mit ihrem dunklen Timbre wunderbar zu Lehárs dunkler Musik.
Manfred Krug, 1974
Mit diesem Lied begann die kompositorische Zusammenarbeit von Franz Lehár und Richard Tauber, denn der Sänger hat zusammen mit dem Komponisten an jeder Phrase gefeilt. Tauber selbst machte 1925 daraus einen Schallplattenbestseller, der von unzähligen Interpreten übernommen wurde, so auch von Manfred Krug. Seine lässige Jazzversion von 1974 - also noch zu DDR-Zeiten - zeigt, dass man kein Tauber sein muss, um Lehár zu singen, aber wissen sollte, wie man Frauen küsst ...
Sendung: "Mittagsmusik" am 27. April 2020 ab 12:05 Uhr auf BR-KLASSIK