Aufgrund seiner antisemitischen Haltung ist der Komponist Hans Pfitzner bis heute umstritten. 1917 dirigierte ausgerechnet der jüdische Dirigent Bruno Walter im Münchner Prinzregententheater die Uraufführung seiner Musikalischen Legende in drei Akten "Palestrina".
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"Ich hörte Hans Pfitzners musikalische Legende 'Palestrina' dreimal bisher, und merkwürdig rasch und leicht ist mir das spröde und kühne Projekt zum vertrauten Besitz geworden. Dies Werk, etwas Letztes und mit Bewusstsein Letztes aus der schopenhauerisch-wagnerischen, der romantischen Sphäre, mit seinen dürerisch-faustischen Wesenszügen, seiner Mischung aus Musik, Pessimismus und Humor, - es gehört durchaus 'zur Sache' - zur Sache dieses Buches." Dies schrieb Thomas Mann 1918, und mit diesem Buch waren seine 'Betrachtungen eines Unpolitischen' gemeint.
Und Thomas Mann traf den Nagel auf den Kopf: Schopenhauer, Wagner, Faust - alle geistern sie durch dieses seltsam großartige, tief berührende wie auch polarisierende Hauptwerk Pfitzners. Denn jener Giovanni Pierluigi da Palestrina war für den gallig-scharfzüngigen und deutschtümelnden Pfitzner nicht nur eine historische Figur. Der Komponist fühlte sich dem bedeutenden Vorgänger seelenverwandt, dessen "Missa Papae Marcelli" wir - so will es die Legende - die Rettung der mehrstimmigen Kirchenmusik zu danken haben. Die Figur des Palestrina ist Hans Pfitzner. Der, ein Chauvinist, Antisemit und Antidemokrat, stilisiert sich recht unverhüllt zum "Retter der Musik", zum wort- und musikmächtigen Streiter wider die "Futuristengefahr", gegen die er im Uraufführungsjahr seines "Palestrina" in der gleichnamigen Streitschrift polemisiert.
In seiner Oper beschwor Pfitzner noch einmal die deutsche Romantik, mit einem von ihm selbst verfassten Textbuch und einer Musik, die von spröder, weltabgewandter Schönheit erfüllt ist, im zweiten Akt allerdings auch von leicht plakativer Meistersinger-Beschwörung. Dieser Konzilsakt mit seinen zerstrittenen, teils böse karikierten Kardinälen, dürfte auch Pfitzners Meinung über die "politischen Dilettanten" im deutschen Reichstag widergespiegelt haben, jener "parlamentarischen Schwatzbude", die in den Augen Pfitzners im Parteienstreit den deutschen Geist zersetzte.
Streitbar, dieser "Palestrina", wie sein Schöpfer, der sich alsbald heillos und unentschuldbar in der Nazi-Ideologie verlieren sollte. Doch bleibt "Palestrina" auch ein großes Werk, das noch einmal das romantische Genie beschwor. Bruno Walter, der jüdische Uraufführungsdirigent, liebte es bis zuletzt - und ließ sich auch durch Pfitzners Antisemitismus nicht beirren.
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