Wien, 25. Mai 1869, am frühen Abend. Auf der Ringstraße, dem monumentalen Boulevard im Bau, der von der Macht und Herrlichkeit der K.u.K.-Monarchie künden soll, wogt eine kaum übersehbare Menge von Schaulustigen. Die meisten der Palais und Luxushotels, der Repräsentationsbauten und Kulturtempel sind noch Baustellen. Doch das eigentliche Herz der Donaumonarchie, da sind sich zumindest die Opern-Narrischen unter den Wienern einig, schlägt in der nagelneuen Hofoper, und die wird an diesem Abend eröffnet.
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4.000 Gasflammen beleuchten zusammen mit der Abendsonne das neu errichtete Operntheater. Die von rundbogigen Fenstern gegliederte Fassade trumpft mit einer monumentalen Loggia auf. Es ist die Zeit des Historismus, an der Ringstraße werden munter die Epochen und Stile gemischt. Hier steht französische Gotik neben griechischen Säulen, bei der Oper hat man sich für florentinische Renaissance entschieden.
Um kurz vor sieben brandet Beifall auf. Von der Hofburg nähert sich, begleitet von einer Ehrenformation, die prunkvolle Kutsche des Kaisers. Wenige Minuten später betreten Franz Joseph und Elisabeth die Mittelloge. Der gesamte Zuschauerraum ist bereits bis auf den letzten Platz gefüllt. Als alle sitzen, hebt Kapellmeister Heinrich Esser den Taktstock und dirigiert eine eigens von ihm komponierte Ouvertüre. Anschließend steht eine Festaufführung des "Don Giovanni" auf dem Programm.
Der Kaiser, der, anders als die meisten seiner Vorfahren, durch und durch unmusikalisch war, mag sich eher gelangweilt haben, sagt aber danach, es habe ihn sehr gefreut. Die Wiener Gesellschaft ist berauscht. Die prunkvolle Innenausstattung der Oper begeistert. Doch auch die Akustik erweist zur allgemeinen Überraschung als gut. Damit hatte niemand gerechnet.
Für die beiden Architekten wäre es ein später Triumph gewesen. Während der siebenjährigen Bauzeit hatte die Wiener Presse ein bösartiges Kesseltreiben veranstaltet. Man werde in dem unförmigen Bau weder hören noch sehen, hatte man prophezeit. Der eine Architekt, Eduard von der Nüll, hatte im Zuge dieser Kampagne Selbstmord begangen, der andere, August von Siccardsburg, sein Partner im Leben und in der Kunst, war kurz darauf einem Schlaganfall erlegen. Den Tag, der ihr größter geworden wäre, haben beide nicht mehr erlebt.
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