Mit Glucks "Orfeo ed Euridice" gab es die dritte Premiere bei den diesjährigen Festspielen auf Gut Immling. Ein Abend mit spannenden und musikalisch starken Momenten. Doch die mit viel Aktion aufgeladene Inszenierung von "Hausherr" Ludwig Baumann gleitet oft ins Alberne und Abstruse ab.
Es ist einer der großartigen Momente dieses fantasievollen, musikalisch starken und szenisch doch ein wenig zwiespältigen Musiktheaterabends: Eine schwarzgewandete Trauergesellschaft begleitet den Sarg Eurydikes, der von hinten durch den Mittelgang des Opernhauses zur Bühne getragen wird. Erst schweigend, dann mit einer ergreifenden Totenklage. Schmerzerfüllt, zu Tränen rührend, von archaischer Wucht - ein bewegender Auftritt des Immlinger Festivalchors.
Gerade haben Orpheus und Eurydike noch ein Hauskonzert gegeben: mit der Gastgeberin am Klavier, mit Orpheus, der das "Ständchen" aus Schuberts "Schwanengesang" singt, und mit dem Festivalorchester, das samt Dirigentin aus dem Graben auf die Bühne wandert. Applaus, strahlende Gesichter, gespannte Erwartung - und plötzlich beginnt Eurydike zu husten, bricht zusammen. Und der Tod klopft an die Tür.
Schon mit dieser Vorgeschichte hat Ludwig Baumann, der Hausherr von Immling, seine Inszenierung mit viel Aktion aufgeladen. Das geht eine ganze Weile gut. Denn das ist auch musikalisch der etwas andere Gluck-Abend: neben dem Schubert-Lied erklingt immer wieder Claude Debussys "Clair de lune" - und zur rechten Zeit entlockt Dirigentin Cornelia von Kerssenbrock ihren Musikern gespenstische, fahle Glissandi, die Gluck gewiss nicht in seinem Kompositionsrepertoire hatte. Faszinierende klangliche Irritationen … Und langsam begreifen wir: Da droht einer am Tod seiner geliebten Frau seelisch zugrunde zu gehen, wenn ihm nicht geholfen wird. Ein Zitat von Sigmund Freud steht über dieser "Orpheus"-Produktion: "Niemals sind wir ungeschützter gegen das Leiden, als wenn wir lieben. Niemals hilfloser unglücklich, als wenn wir das geliebte Objekt oder seine Liebe verloren haben."
Sehen Sie hier die Bilder der Inszenierung
Mit seiner Euridice hat Orfeo alles verloren. Aber er will es nicht wahrhaben. Immer wieder erscheint ihm seine geliebte Frau. Dass die ukrainische Sopranistin Maryna Zubko in diesen Szenen nicht singen darf, ist schade. Sie überzeugt später mit jubelnder Wiedersehensfreude und abgrundtiefer Verzweiflung. Koloraturtechnisch nicht ganz auf diesem Niveau die spielfreudige und wandlungsfähige Rachel Croash aus Irland: sie ist Amore - und Sigmund Freud zugleich. Aber nicht nur zu ihm schickt uns der Regisseur, sondern zusätzlich noch in den Hörsaal und in die Gerichtsmedizin, mit gruselig geschminkten und erlesen gruftig tanzenden Zombies. Als das medizinische Personal mit riesigen Scheren und Sägen aus Karton hantiert, wird es albern. Schade, denn es gibt so wunderbare Bilder: etwa den schwarz ausgeschlagenen Trauerraum mit den lebensgroßen, sepiafarbenen Porträts der glücklichen Euridice - und darüber einfach drei weiße Kreuze in den Bühnenhimmel gemalt. Mehr braucht es nicht, denn alles andere ist in Glucks herrlicher Musik.
Diese Herrlichkeit hat noch einen zweiten Namen: Modestas Sedlevičius. Der litauische Bariton, hörbar liedgeschult, packt das gleißende Glück und den stechenden Schmerz des Orfeo wie selbstverständlich in seine großartig geführte Stimme. Edel, zupackend, vor Leiden und Leidenschaft sich verzehrend. Orfeo wird übrigens am Ende als geheilt entlassen - aber in welche Zukunft? Sehen - und vor allem hören Sie selbst. Es lohnt sich.
Premiere: 22. Juli 2017
Weitere Termine: 30. Juli um 18.00 Uhr und 5. August um 19.00 Uhr
Infos und Karten unter gut-immling.de
Sendung: Leporello am 24. Juli 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK.