Die Handlung der Strauss-Oper "Die Frau ohne Schatten" ist irrwitzig, überehrgeizig und zugleich märchenhaft. Den roten Faden hat Regisseur Claus Guth trotzdem gefunden - aber: er ist nur ausgeliehen. Und zwar bei den Urvätern der Psychoanalyse.
Welch ein Wuchtstück. Symbolisch und geheimnisvoll, sehr lang und sehr verschlüsselt, musikalisch grenzüberschreitend und für sämtliche Sänger eine viereinhalbstündige Dauerherausforderung der Sonderklasse. Die Frau ohne Schatten, die Kaiserin aus der Fabelwelt, die keine Kinder bekommt und die deshalb ein Menschenpaar aufsucht, um der Färbersfrau den Schatten abzuschwatzen. Eine Handlung mit zu vielen Nebensträngen und Figuren.
Strauss' 1919 uraufgeführte Oper liegt quasi auf der Couch, die Frau als Objekt des starken Vaters und des dominanten Ehemannes hat keine Chance, die Seele zu entfalten. Und ohne Seelenglück kein Kinderglück. Die Kaiserin verarbeitet ihre Vergangenheit im Schlaf mit ihrem Besuch beim unglücklichen Färberpaar, mit den Stimmen ungeborener Kinder oder mit der Kahnfahrt hinab ins Vaterreich.
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Claus Guth schreckt vor psychedelischen Sequenzen nicht zurück. Videoanimationen zeigen Spermien und die stummen Schreie der Föten im Mutterleib oder dunkle Wassermassen, die das Szenario zu verschlingen drohen. Der LSD-Rausch passt zur Musik und damit sind wir bei Überraschung Nummer zwei, den Sängern. Ein tragischer Moment schwebt über der Berliner Inszenierung. In Mailand und London sang der auch für Berlin geplante südafrikanische Heldentenor Johan Botha, der mit 51 Jahren überraschend gestorben ist.
Womit wir bei Überraschung Nummer drei wären, dem Orchester. Die Staatskapelle ist wagner- und brucknergestählt und entfaltet hier in allen Facetten einen herrlichen Strausszauber unter der Leitung von Zubin Mehta. Die Frau ohne Schatten zu dirigieren ist mit vollbesetztem Graben und mehreren Chören ein Mammutprojekt, bei den Einsätzen der Sänger ist hin und wieder sogar Hilfe aus dem Souffleurkasten nötig. Der 81-jährige Mehta behält souverän den Überblick. Kleines Manko: Strauss hat in einer Lautstärke instrumentiert, die für Sänger grenzwertig ist. Sie verfallen deshalb ab und an in einen Kreischmodus, der fast schmerzhaft klingt. Insgesamt aber ein umjubelter Abend mit ein paar Buhrufen für die Regie. Ohne die geht es nicht beim Berliner Premierenpublikum, aber sie gehen im enthusiastischen Beifall fast unter.
Richard Strauss: Die Frau ohne Schatten
Oper in drei Akten von Richard Strauss - Text von Hugo von Hofmannsthal
Staatsoper Berlin
Donnerstag, 13. April 2017, 18.00 Uhr
Sonntag, 16. April 2017, 18.00 Uhr
Sendungsthema aus "Leporello" am 10. April 2017, ab 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK