Natürlich ist Meeses Mutti auch in Wien mit von der Partie. Ohne die gehe ja grundsätzlich gar nix, sagt der Künstler in praktisch jedem Interview. Diesmal ist die Mama als eierkopf-förmiges Riesenfoto auf der rechten Bühnenseite zu sehen. Darunter steht "Siehste". Und tatsächlich ist das ein passendes Motto für den gesamten, vierstündigen Abend.
Jonathan Meese wirft eine gewaltige, manchmal auch gewalttätige Assoziationsmaschine an, die sich vorwiegend aus popkulturellen Trashsujets speist. Simpler gesagt: Man begegnet Figuren aus Star Trek, weltrettenden Groschenhefthelden, abstrusen Science-Fiction-Kaspern. Urteufelin Kundry erscheint erst als Richard Wagner-Double mit hübschem Barrett, später - unter anderem - als Barbarella, ja, das ist dieses blonde Biest, im gleichnamigen Kultfilm verkörpert von Jane Fonda.
Der gütige Gurnemanz entsteigt in "Mondparsifal Alpha 1-8" anfangs einem großen Kühlschrank, er trägt Meeses alten Jogginganzug auf und auch die Frisur sitzt: eine lange und wirre Haarmasse. Parsifal stolpert und hetzt erst in roter Unterwäsche, später ganz in Gold durch die Szenerie, Countertenor Daniel Gloger leistet körperlich und vokal Sensationelles, manches tönt absichtlich ohrenbetäubend.
"Mondparsifal" - die Premiere in Bildern.
Und Meese steuert ununterbrochen sehr eigene Übertitel bei. Da steht dann "Sonnentanz" oder "Leitmotiv Zukunft". Es könnte natürlich genauso gut "Mondschatten" oder "Erzmotiv Vergangenheit" heißen. Oder so. Oder auch irgendwie anders. "Erz" ist Meeses Lieblingsvokabel und seine zweite Freude ist ein hübsches Bayreuth- und Wagnerianer-Bashing. Im dritten Aufzug flimmert bühnenbreit Fritz Langs "Nibelungen"-Stummfilm. Manches macht durchaus Sinn, vieles wirklich Spaß, anderes nervt gewaltig. Doch insgesamt erlebt man eine wunderbar schräge, tabulose Durchlüftung dieser kunstreligiösen Kult-Oper.
Freilich wäre Meeses Chaos-Kosmos bei einer regulären Parsifal-Aufführung ziemlich deplatziert, doch zum Glück gibt es den Komponisten Bernhard Lang, der Wagner in einem Loopgewitter und virtuosen Übermalungen aufgehen lässt. Da fühlt man sich oft wie auf einer Tenne und will das Tanzbein schwingen, so locker-jazzig klingt das. Einzelne Momente, Motive bricht Lang heraus und wiederholt sie, klebt sie dann mit weiteren Elementen ziemlich unvermittelt zusammen. Synthesizer kommen zum Einsatz, oft wirkt das Ganze wie eine festhängende Schallplatte.
Den Wiener Festwochen ist mit dem "Mondparsifal" ein Coup gelungen, der ideal ins heuer ausufernde Programm mit all seinen politischen Projekten und Gender-Reflexionen und verrückten Performances passt. Tolle Pointe zum Schluss: Meeses auch hier wieder sehr lautstarkes Diktum vom Diktat der Kunst, der absoluten Freiheit von Ideologien und Zwängen ist natürlich nur möglich, wenn eben der Staat mit heftigen Subventionen solch einen Zauberkasten ermöglicht. Erzlogisch, oder?
Oper von Bernhard Lang nach Richard Wagners "Parsifal"
Regie/Bühne und Kostüme: Jonathan Meese
Musikalische Leitung: Simone Young
bei den Wiener Festwochen
Premiere:
Sonntag, 4. Juni 2017
Weitere Termine:
Dienstag, 6. Juni, 18.00 Uhr
Donnerstag, 8. Juni, 19.00 Uhr
Sendung: "Leporello" am 6. Juni 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK.