Am 25. Juli hatte Yuval Sharons Neuinszenierung von Wagners "Lohengrin" bei den Bayreuther Festspielen Premiere. Im Interview spricht der Regisseur über das Konzept seiner Inszenierung, die Zusammenarbeit mit Lohengrin-Darsteller Piotr Beczala - und was er über die "Lohengrin"-Deutung seines Vorgängers Hans Neuenfels denkt.
BR-KLASSIK: Der Auftrag, diesen "Lohengrin" zu inszenieren, hat Sie erst vor zwei Jahren erreicht – 2016, als der umstrittene Regisseur Alvis Hermanis seine "Lohengrin"-Verhandlungen mit Bayreuth abgebrochen hat. Wie lange haben Sie überlegt, diese Regie zu übernehmen?
Yuval Sharon: Es war für mich keine lange Überlegung, ob ich das machen wollte oder nicht. Es kam komplett auf die verschiedenen Persönlichkeiten an – also Christian Thielemann, Neo Rauch und Rosa Loy – und wie ich mit ihnen umgehen konnte. Und schon beim ersten Treffen mit alle dreien war klar, dass wir uns sehr gut verstanden und die ästhetische Grundrichtung des Projekts als vielversprechend angesehen haben. Mir war klar, dass die Arbeit gut laufen würde, und so ist es dann auch gewesen.
BR-KLASSIK: Was für eine Geschichte erzählt der "Lohengrin" für Sie?
BR-KLASSIK: In welchem Setting erzählen Sie diese Geschichte?
Yuval Sharon: Das ist nicht so einfach zu erklären. Ich würde die Atmosphäre dieser Inszenierung als eine Art Traum-Atmosphäre beschreiben. Unser Unterbewusstsein wird skurrile Bilder liefern. Es ist auf jeden Fall örtlich nicht genau festgelegt. Manchmal kann man anhand der Kostüme sehen, wo das Ganze spielt. Obwohl Neo Rauch und Rosa Loy niemals vorher ein Bühnenbild und Kostüme für das Theater entwickelt haben, waren sie sehr offen für das, was das Theater braucht. Ich meine nicht nur akustisch, sondern auch, wie diese Bilder über die Dauer des Stückes sich entwickeln und in Bewegung gesetzt werden.
Das Beste von einem Sänger zu bekommen, heißt, mit ihm zu kommunizieren.
BR-KLASSIK: Was bedeutete es für Sie, dass gut drei Wochen vor der Premiere plötzlich ein neuer Lohengrin auftauchte, weil Roberto Alagna abgesagt hatte und Piotr Beczala dazukam? Mussten Sie da nochmal einiges überdenken oder anders machen?
Yuval Sharon: Ja, ich musste schon mit Piotr neu konzipieren, weil es für ihn auch stimmen muss. Ich bin niemand, der sagt: Bitte mach genau, was ich will. Das Beste von einem Sänger oder einem Künstler zu bekommen, heißt, mit ihm zu kommunizieren und etwas gemeinsam zu entwickeln. Insofern ist die Darstellung des Lohengrin jetzt sicherlich eine andere – wegen Piotr –, aber ich bin glücklich damit. Von der ursprünglichen Idee wurde aber nichts weggenommen – im Gegenteil: Durch den Dialog mit Piotr wurde diese Idee weiter zugespitzt und ist jetzt vielleicht stärker. So genau kann ich das nicht sagen, weil ich mit Alagna nicht gearbeitet habe. Aber ich bin Piotr für sein Einspringen sehr dankbar – und für die tolle, konzentrierte und geistreiche Zusammenarbeit.
Mit jeder neuen Inszenierung hat man einen neuen Blick auf dasselbe Material.
BR-KLASSIK: Die vorherige "Lohengrin"-Inszenierung von Hans Neuenfels – in klinischer Labor-Atmosphäre, mit dem Chor in Rattenkostümen – hat nahezu Kultstatus erreicht. Inwiefern hat Sie das beschäftigt – oder hat das gar keine Rolle gespielt? Haben Sie die Inszenierung überhaupt gesehen?
BR-KLASSIK: Sie sind bei Chicago geboren und dann in Israel und den USA aufgewachsen. Können Sie sich noch erinnern, wann Sie mit Wagners Musik erstmals konfrontiert wurden, in welcher Situation das war?
Yuval Sharon: Ja, ich kann mich ganz genau erinnern. Ich habe mit 13 Jahren zum ersten Mal "Siegfried" gesehen. "La Traviata" hatte ich ein Jahr vorher kennengelernt, und "Siegfried" hat mir viel besser gefallen als die "Traviata". (lacht) Als 13-Jähriger in der Oper – und dann ein Drache und ein Schwert und Zwerge auf der Bühne, das war irgendwie, naja …
BR-KLASSIK: Fühlen Sie sich da freier, weil Sie ein bisschen von weiter weg kommen und natürlich auch eine andere Generation als die Nachkriegsgeneration repräsentieren?
Yuval Sharon: Auf jeden Fall. Ich glaube, ich fühle mich sehr glücklich, dass ich diesen Abstand habe – nicht nur als Amerikaner, der jetzt in Deutschland arbeitet, sondern auch als Mitglied der nächsten Generation, die eigentlich gerne die Zukunft bauen möchte. Das heißt aber nicht, die Vergangenheit zu vergessen oder irgendwie glatt zu bügeln.
Sendung: "Allegro" am 24. Juli 2018 ab 6:05 Uhr in BR-KLASSIK