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Kritik - "Aida" in Salzburg Antikriegsstück als Psychokrimi

Fast ebenso viel Aufregung wie um das Rollendebüt von Anna Netrebko gab es im Vorfeld der "Aida"-Neuproduktion bei den Salzburger Festspielen um das Operndebüt der iranischen Fotografin, Video-Künstlerin und Filmregisseurin Shirin Neshat, die im New Yorker Exil lebt. Auf dirigentischer Seite ist Intendant Markus Hinterhäuser sozusagen auf Nummer sicher gegangen, indem er den Salzburg seit langem eng verbundenen Verdi-Kenner Riccardo Muti verpflichtete. Insgesamt eine gute Wahl, findet Volkmar Fischer.

Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

In einer Opernpremiere der Salzburger Festspiele stehen traditionell Top-Stars auf der Bühne. Manchmal quält sie beträchtlicher Erwartungsdruck. Zumal dann, wenn sie in einer extrem anspruchsvollen Partie debütieren. So wie jetzt Anna Netrebko als Aida. Oft zittert die Stimme, zumal bei Spitzentönen, nur selten gibt es butterweiche Höhenflüge. Gar nicht selten driftet der Gesang aus den korrekten Intonationsbahnen ab. Die nervöse Anspannung der russischen Diva spiegelt immerhin die Gefühlslage der versklavten Königstochter wider: einer Frau, die an der Front zwischen Feinden (Vater und Geliebtem!) aufgerieben wird. Da agiert jemand übervorsichtig, ohne sich viel zu bewegen – ohne auch den Betrachter wirklich zu bewegen. Und weil die Netrebko vor allem ihr tiefes Register mit gezielt dunkler Färbung zur Schau stellt, ähnelt Aida diesmal ihrer Rivalin Amneris – als wären sie Schwestern.

Wandlungsfähige Sänger

Ein typisch slawisches Timbre ist charakteristisch für die Brustresonanzen der weißrussischen Mezzosopranistin Ekaterina Sementschuk. Die Wandlung der stolzen Pharaonentochter, die erst Rachedurst, dann Reue zeigt, geht unter die Haut, sobald Amneris an der Verurteilung des von ihr begehrten Hochverräters Radames nichts ändern kann. Beim Tenor hat Verdi diesmal an einen Belcantisten gedacht, der heroisch aufzutrumpfen vermag. Francesco Meli ist nicht anzumerken, dass er in der schwierigen Rolle debütiert. Die Art und Weise, wie er das Gefühlsdilemma seiner Figur sängerisch ausgestaltet, und auch das Scheitern des heimlich verliebten Kriegshelden am Ehrenkodex der Ordnungshüter, überzeugt auf Anhieb und nachhaltig. Meli riskiert neben stimmlichen Attacken sogar so manche piano-Phrase.

 Drive und rhythmische Prägnanz

Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus Amonasro ist kein großer, aber für den Ausgang des Stücks zentraler Part. Rabiat greift diese herzlose Vaterfigur Verdis zum Mittel der emotionalen Erpressung - bei seiner eigenen Tochter! Und wenn sich der Bariton Luca Salsi dabei jede Sentimentalität verkneift, so liegt er auf einer Linie mit Maestro Riccardo Muti. Für ihn spielen die Wiener Philharmoniker seit Jahrzehnten gern, und das hört man: Blendend sind die Jubilare im 175. Jahr ihres Bestehens aufgelegt, auch die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Dirigentisch gefordert werden Drive und rhythmische Prägnanz. Mit der von ihm bekannten Grandezza belegt Muti  immer noch seinen Sinn für ausladende Rubati, eine gut abgestimmte Kontrastdramaturgie und deren angemessene Modellierung.

Grimmige Untertöne

Den Mega-Hit namens Triumphmarsch, eine veritable Materialschlacht mit den berüchtigten einventiligen Trompeten, versieht Muti mit grimmigen Untertönen. Da hat jemand Verdi verstanden, kommentiert der hier doch das Zeitalter des Imperialismus, eine arrogante Siegerpose und beklemmende Machtdemonstration.

Multikulturelles Ägypten

Bildquelle: © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus Mit dem Willen zur Distanzierung setzt die iranische Opern-Novizin Shirin Neshat die heikle Triumphszene um. An der Seite des bekanntermaßen geschmackssicheren Bühnenbildners Christian Schmidt verweigert sie dem kulinarisch orientierten Teil des Salzburger Publikums dekorative Palmen und Goldornamente. Dafür konterkarieren unter Tierköpfen verborgene Tänzer in schwarzen Röcken religiösen und politischen Fanatismus. Die durchweg auf Stilisierung setzende Regiearbeit verleiht den Ägyptern multikulturelle Züge, ihren  Religionsvertretern christlich-jüdisch-islamische. Heutigen Flüchtlingen aus Syrien oder Afrika werden die Äthiopier zugeordnet - durch hochästhetisch fotografierte Video-Projektionen auf weißen Betonmauern, die sich teilen und drehen und jederzeit ein totalitäres Regime assoziieren lassen.

Abrechnung mit Zerstörungswut

Natürlich weiß Shirin Neshat, dass "Aida" nicht als simples Eifersuchtsdrama abgetan werden kann, frei nach dem Muster "Zwei Frauen - ein Mann". Wie an der Personenführung abzulesen ist, interessiert sich die Regisseurin nicht so sehr für das amouröse Dreieck Aida-Radames-Amneris, wohl aber für das von Männern beherrschte explosive Pendant Radames-Aida-Amonasro. So wird es im Nil-Akt spannend: wenn Verdi das Spektakel auf ein Kammerspiel reduziert, Aida vom manipulativen Erzeuger weich gekocht und Radames zur Preisgabe militärischer Geheimnisse verlockt wird - ein Psychokrimi! Der finale Abschied vom Leben, für die Titelheldin Opfer- und Liebestod zugleich, ist hier anrührend symmetrisch arrangiert und damit eine abstrahierende Abrechnung mit menschenverachtender Zerstörungswut: "Aida" als Antikriegsstück eines Pazifisten und Humanisten. Damit wird in Salzburg ein Wesensmerkmal Verdis visualisiert, das sonst vielfach unterbelichtet bleibt. Der neue Festspielintendant Markus Hinterhäuser hat mit Shirin Neshat eine gute Wahl getroffen - gewagt und gewonnen!

Sendung: Allegro am 07. August 2017 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK