Alban Berg interessierte sich sehr für die bildenden Künste. Da erscheint es ebenso interessant wie passend, dass bei den Salzburger Festspielen für die Inszenierung des "Wozzeck" mit William Kentridge ein Grafiker und Videokünstler verpflichtet wurde. 20 Jahre nach der Produktion von Peter Stein und Claudio Abbado steht der "Wozzeck" nun wieder auf dem Spielplan in Salzburg - mit Vladimir Jurowski als Dirigent und Matthias Goerne in der Titelrolle. Bernhard Neuhoff hat die Premiere besucht.
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Wie ein seit Jahrzehnten unaufgeräumter, mit altem Gerümpel vollgestellter Dachboden schaut die Bühne aus. Ein riesenhafter Schrank, durcheinandergeworfene Stühle, Treppen, die ins Nirgendwo führen, dazwischen ein schmaler Steg aus rohen Brettern, alles steil aufeinander getürmt. Ein einziger Verhau. Überall ist es eng, kaum können sich die Figuren bewegen. Meist wird ohnehin nur ein schmaler Fleck beleuchtet, der Rest der Bühne dämmert hinter düsteren Projektionen. William Kentridge, der Grafiker und Videokünstler, wurde mit seinen Kohlezeichnungen berühmt, die er in Trickfilm-Animationen zum Leben erweckt. Bei seiner "Wozzeck"-Inszenierung geht er zeichnerisch und filmisch in die Vollen. Die Darsteller agieren dagegen sehr zurückgenommen. Zuerst befürchtet man, dass die Bild-Projektionen die Sänger an den Rand drängen. Doch Kentridge ist eben nicht nur bildender Künstler, sondern auch ein erfahrener Theatermacher. Der zudem ein genaues Ohr für die Partitur hat, dieses unfassbar geniale Meisterwerk von Alban Berg.
Und wenn die Figuren dann doch einmal versuchen, aus ihren vorgezeichneten, klaustrophobischen Räumen auszubrechen, wenn dann plötzlich heftige szenische Aktion losbricht, etwa in der Wirtshausszene, wo der Tambourmajor Wozzeck brutal demütigt, dann entfaltet das umso stärkere Wirkung. Beim Mord an Marie sieht man Blitze wie Artilleriefeuer: Wozzecks individuelle Gewalt, so zeigt Kentridge, ist unmittelbare Folge der kollektiven Gewalt des Krieges. Eine emotional packende Deutung, umgesetzt in einer visuell starken und zugleich hochmusikalischen Bühnensprache.
Ganz anders Matthias Goerne, ein Wozzeck des baritonalen Wohllauts. Goerne hat ein betörendes Timbre, das er voll zur Geltung bringt. Seine weiche, ein wenig kehlige Stimme gibt der Figur viel Humanität und erzählt glaubhaft von den Nöten der "armen Leut'". Das ist sehr schön, bleibt aber auch so, wenn er droht und deliriert und gewalttätig wird. "Der Mensch ist ein Abgrund" singt Wozzeck - Goernes allzu lyrisch-gemütvoller Darstellung nimmt man das nicht recht ab.
Durchweg gut gesungen wird auch von den übrigen Darstellern, allen voran Gerhard Siegel, der dem Hauptmann mit sicher geführtem Charaktertenor groteske Züge verleiht.
Alban Berg, der Wagner-Jünger, der sich brennend für bildende Kunst interessierte, sah die Oper als Gesamtkunstwerk. Dieser musikalisch und visuell unter die Haut gehende Abend wird Bergs epochaler Oper auf eigenwillige und bezwingende Weise gerecht.
Die Inszenierung der Oper "Wozzeck" bei den Salzburger Festspielen ist noch am 14., 17., 24. und 27. August zu erleben.
Sendung: Allegro am 09. August 2017 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK