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Kritik - Bergs "Wozzeck" bei den Salzburger Festspielen Zeichengewitter mit Sogwirkung

Alban Berg interessierte sich sehr für die bildenden Künste. Da erscheint es ebenso interessant wie passend, dass bei den Salzburger Festspielen für die Inszenierung des "Wozzeck" mit William Kentridge ein Grafiker und Videokünstler verpflichtet wurde. 20 Jahre nach der Produktion von Peter Stein und Claudio Abbado steht der "Wozzeck" nun wieder auf dem Spielplan in Salzburg - mit Vladimir Jurowski als Dirigent und Matthias Goerne in der Titelrolle. Bernhard Neuhoff hat die Premiere besucht.

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Wie ein seit Jahrzehnten unaufgeräumter, mit altem Gerümpel vollgestellter Dachboden schaut die Bühne aus. Ein riesenhafter Schrank, durcheinandergeworfene Stühle, Treppen, die ins Nirgendwo führen, dazwischen ein schmaler Steg aus rohen Brettern, alles steil aufeinander getürmt. Ein einziger Verhau. Überall ist es eng, kaum können sich die Figuren bewegen. Meist wird ohnehin nur ein schmaler Fleck beleuchtet, der Rest der Bühne dämmert hinter düsteren Projektionen. William Kentridge, der Grafiker und Videokünstler, wurde mit seinen Kohlezeichnungen berühmt, die er in Trickfilm-Animationen zum Leben erweckt. Bei seiner "Wozzeck"-Inszenierung geht er zeichnerisch und filmisch in die Vollen. Die Darsteller agieren dagegen sehr zurückgenommen. Zuerst befürchtet man, dass die Bild-Projektionen die Sänger an den Rand drängen. Doch Kentridge ist eben nicht nur bildender Künstler, sondern auch ein erfahrener Theatermacher. Der zudem ein genaues Ohr für die Partitur hat, dieses unfassbar geniale Meisterwerk von Alban Berg.

Bilderwelt der Militärmaschinerie

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz Vor genau 100 Jahren, noch während des Ersten Weltkriegs, begann Berg die Komposition seiner Oper. Der Text von Georg Büchner spielt zwar schon um 1830. Doch in der Militärmaschinerie, die Büchner schildert, fand Berg eigene Erfahrungen wieder. Als Kadetts-Zugführer der österreichisch-ungarischen Armee musste er am Krieg teilnehmen. Unmittelbar unter diesen Eindrücken ging er an die Arbeit. Und so ist es absolut stimmig, dass Kentridge auf das Bühnengeschehen die Bilderwelt des Ersten Weltkriegs blendet, dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts: marschierende Soldaten, Landkarten mit Frontverlauf, Gasmasken, ein Kaiser-Wilhelm-Kopf, der grotesk in Einzelteile zerfällt. Dieses Zeichengewitter aus wimmelnden, erdigen, die Augen verwirrenden, verstörenden und betörenden Kohlestrichen entwickelt enorme Sogwirkung. Immer wieder werden die Darsteller davon fast überrollt, zumal sich die Bühnenaktion meist auf sparsame, marionettenhafte Gesten beschränkt. In ihrer bewussten Stilisierung haben diese Gesten jedoch große Kraft.

Emotional packende Deutung

Und wenn die Figuren dann doch einmal versuchen, aus ihren vorgezeichneten, klaustrophobischen Räumen auszubrechen, wenn dann plötzlich heftige szenische Aktion losbricht, etwa in der Wirtshausszene, wo der Tambourmajor Wozzeck brutal demütigt, dann entfaltet das umso stärkere Wirkung. Beim Mord an Marie sieht man Blitze wie Artilleriefeuer: Wozzecks individuelle Gewalt, so zeigt Kentridge, ist unmittelbare Folge der kollektiven Gewalt des Krieges. Eine emotional packende Deutung, umgesetzt in einer visuell starken und zugleich hochmusikalischen Bühnensprache.

Atemberaubende Modernität

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Ruth Walz Dirigent Vladimir Jurowski lässt sich von diesem Bildersturm hörbar inspirieren. Er glättet nichts, betont nicht die spätromantischen Seiten von Bergs Musik, sondern ihre atemberaubende Modernität. Da blitzen die Farben, da reihen sich bunte, unmittelbar fesselnde Einzelmomente aneinander – für den großen dramatischen Bogen hat Bergs Theatergenie ohnehin gesorgt. Im Vertrauen darauf kann sich Jurowski leisten, die virtuos aufspielenden Wiener Philharmoniker ordentlich zu fordern. Trotzdem kommen die Sänger gut durch. Allen voran die litauische Sopranistin Asmik Grigorian als Marie. Sie setzt Ausdruck vor Schönklang, Dramatik vor Sicherheit und bietet mit ihrem leuchtenden, manchmal lodernden Sopran ein ungewöhnlich intensives Porträt dieser zerrissenen Frau.

Wozzeck mit betörendem Timbre

Ganz anders Matthias Goerne, ein Wozzeck des baritonalen Wohllauts. Goerne hat ein betörendes Timbre, das er voll zur Geltung bringt. Seine weiche, ein wenig kehlige Stimme gibt der Figur viel Humanität und erzählt glaubhaft von den Nöten der "armen Leut'". Das ist sehr schön, bleibt aber auch so, wenn er droht und deliriert und gewalttätig wird. "Der Mensch ist ein Abgrund" singt Wozzeck - Goernes allzu lyrisch-gemütvoller Darstellung nimmt man das nicht recht ab.
Durchweg gut gesungen wird auch von den übrigen Darstellern, allen voran Gerhard Siegel, der dem Hauptmann mit sicher geführtem Charaktertenor groteske Züge verleiht.

Oper als Gesamtkunstwerk

Alban Berg, der Wagner-Jünger, der sich brennend für bildende Kunst interessierte, sah die Oper als Gesamtkunstwerk. Dieser musikalisch und visuell unter die Haut gehende Abend wird Bergs epochaler Oper auf eigenwillige und bezwingende Weise gerecht.

"Wozzeck" bei den Salzburger Festspielen

Die Inszenierung der Oper "Wozzeck" bei den Salzburger Festspielen ist noch am 14., 17., 24. und 27. August zu erleben.

Sendung: Allegro am 09. August 2017 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK