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Kritik - Grigori Sokolov bei den Salzburger Festspielen Haydn bei Gewitter

Als vierte Zugabe seines Salzburger Klavier-Recitals am 8. August spielte Grigori Sokolov Chopins Regentropfen-Prélude. Irgendwie hatte man darauf gewartet. Schließlich war dies ein Konzert mit Decken-Dusche. Kein wirklich überraschender Scherz also. Und doch beruhigend. Denn wenn Sokolov an diesem Abend dieses Stück spielt, dann steht fest, dass er Humor hat.

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Wer diesen großen Pianisten nur von der Bühne her kennt, hätte Grund, daran zu zweifeln. Ein Lächeln beim Verbeugen – bei Sokolov undenkbar.  Wenn einer im durchaus positiven Sinn den Ernst in der musikalischen Kunst verkörpert, dann er. Ein Sokolov-Konzert ist eine Feier der Konzentration aufs Wesentliche. Das merkt man schon an seinen typischen Programmen, die streng durchkomponiert und demonstrativ anti-populistisch sind. 

Dreimal Haydn ohne Pause

Über 60 Klaviersonaten hat Joseph Haydn komponiert, im Konzert zu hören sind sie selten. Drei davon hat sich Sokolov ausgesucht, und natürlich stehen sie alle in Moll. Sokolov spielt sie ohne Unterbrechung unmittelbar hintereinander. Mit seiner Körpersprache macht er deutlich, dass Applaus erst am Schluss der Dreiergruppe angebracht ist - woran sich das dem Meister treu ergebene Publikum rücksichtsvoll hält.

Scheinwerfer mutiert zur Sprinkleranlage

Wassereinbruch während des Konzerts von Grigori Sokolov bei den Salzburger Festspielen | Bildquelle: © Dr. David Martin für BR-KLASSIK Trotzdem wird es unruhig während der dritten Sonate. Zunächst denkt man, dass da jemand mit einem ganz besonders lauten Bonbon-Papier raschelt. Doch das kann es nicht sein. Das Geräusch wird immer lauter. Kein Knistern, eher ein Plätschern. Vorn in der fünften und sechsten Reihe stehen einige Zuschauer auf. In den andern Stuhlreihen sieht man ausgestreckte Finger, die an die Decke zeigen. Die Leute stecken die Köpfe zueinander und schauen nach oben. Ungläubig sieht man, wie ein Rinnsal niedertröpfelt, das sich nach und nach zu einer veritablen Dusche auswächst.  Einer der Scheinwerfer mutiert zu einer Art planwidrigen Sprinkleranlage. Es gießt im Großen Festspielhaus.
Und Sokolov? Spielt unbeirrt weiter, tief versunken in die subtilen Wunder von Haydns Moll-Sonaten. Unglaublich, wie durchdacht er das gestaltet. Und wie fein er abstuft! Bei Sokolov gibt es zwischen Piano und Mezzopiano gefühlt noch siebzehn Zwischenstufen – und jede Nuance ist sinnvoll und beseelt im musikalischen Zusammenhang. Man vergisst völlig, dass ein Konzertflügel eigentlich eine Maschine ist. Und fast vergisst man, dass es gerade bei den Salzburger Festspielen durch die Decke regnet. Beim Schlussakkord der typische Sokolov-Abgang. Kein Blick ins Publikum. Eine zweite Verbeugung. Pause. Hat er denn gar nichts gemerkt von der feuchten Bescherung?

Das Leck wird gedichtet

Kaum ist das Publikum draußen, beginnen Security, Haustechnik und Putzfrauen mit Sicherheitscheck und Aufräumarbeiten. Das Leck im historischen Grabendach des Festspielhauses ist bald lokalisiert und abgedichtet. Das Gewitter mit Starkregen, das während der ersten Konzerthälfte draußen niedergegangen ist, hat sich bereits zum typischen Salzburger Schnürlregen verdünnt. Es wird aufgewischt. Konzertchef Florian Wiegand erzählt mir derweil, dass Sokolov nicht mal gefragt habe, was denn da los gewesen sei: Offenbar hat er wirklich nichts bemerkt während des Spiels.

Schubert unter der Lupe

Grigori Sokolov | Bildquelle: Mary Slepkova / DG Nach einer kurzen Ansage kann das Konzert fast ohne Verzögerung weitergehen. Die zweite Serie von Schuberts Impromptus nimmt Sokolov nun unter die Lupe. Mit teilweise schmerzhaft langsamen Tempi leuchtet er Seelenzustände aus, minutiös und mit atemberaubend differenziertem Anschlag. Sein Spiel ist höchst ausdrucksvoll – und wirkt doch distanziert, wie hinter Glas. Der motorische Drive, den Schubert eigentlich braucht, der Schwung, das Tänzerische, die Lust am Sich-Aussingen – alles, was unmittelbar ist an dieser Musik, verschwindet hinter der kunstvollen Deutung. Das ist faszinierend, aber wenig berührend.

Spontaneität und Verausgabung

Umso befreiter wirkt Sokolov bei den Zugaben. Sechs wird er spielen – wie immer. Auch das ist Teil des Rituals. Und wie immer sind die Zugaben das Beste. Zweimal noch spielt er Schubert, nun aber viel emotionaler als im Hauptprogramm. Endlich gibt es Spontaneität und Verausgabung. Und berührende Momente bei Scarlatti, Skrjabin und Debussy. Und Humor! Wer hätte das gedacht: Sokolov macht mit dem Regentropfen-Prélude von Chopin einen ironischen Kommentar. In der Pause hat man ihm offenbar erzählt, was los war. Ein Grund, beim Verbeugen zu lächeln, ist das zwar noch lange nicht. Doch Gründe für den begeisterten Jubel, der ihm entgegenschlägt, hat Sokolov an diesem denkwürdigen Abend mehr als genug gegeben.

Sendung: "Leporello" am 09. August 2018 ab 16:05 auf BR-KLASSIK