Als vierte Zugabe seines Salzburger Klavier-Recitals am 8. August spielte Grigori Sokolov Chopins Regentropfen-Prélude. Irgendwie hatte man darauf gewartet. Schließlich war dies ein Konzert mit Decken-Dusche. Kein wirklich überraschender Scherz also. Und doch beruhigend. Denn wenn Sokolov an diesem Abend dieses Stück spielt, dann steht fest, dass er Humor hat.
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Wer diesen großen Pianisten nur von der Bühne her kennt, hätte Grund, daran zu zweifeln. Ein Lächeln beim Verbeugen – bei Sokolov undenkbar. Wenn einer im durchaus positiven Sinn den Ernst in der musikalischen Kunst verkörpert, dann er. Ein Sokolov-Konzert ist eine Feier der Konzentration aufs Wesentliche. Das merkt man schon an seinen typischen Programmen, die streng durchkomponiert und demonstrativ anti-populistisch sind.
Über 60 Klaviersonaten hat Joseph Haydn komponiert, im Konzert zu hören sind sie selten. Drei davon hat sich Sokolov ausgesucht, und natürlich stehen sie alle in Moll. Sokolov spielt sie ohne Unterbrechung unmittelbar hintereinander. Mit seiner Körpersprache macht er deutlich, dass Applaus erst am Schluss der Dreiergruppe angebracht ist - woran sich das dem Meister treu ergebene Publikum rücksichtsvoll hält.
Und Sokolov? Spielt unbeirrt weiter, tief versunken in die subtilen Wunder von Haydns Moll-Sonaten. Unglaublich, wie durchdacht er das gestaltet. Und wie fein er abstuft! Bei Sokolov gibt es zwischen Piano und Mezzopiano gefühlt noch siebzehn Zwischenstufen – und jede Nuance ist sinnvoll und beseelt im musikalischen Zusammenhang. Man vergisst völlig, dass ein Konzertflügel eigentlich eine Maschine ist. Und fast vergisst man, dass es gerade bei den Salzburger Festspielen durch die Decke regnet. Beim Schlussakkord der typische Sokolov-Abgang. Kein Blick ins Publikum. Eine zweite Verbeugung. Pause. Hat er denn gar nichts gemerkt von der feuchten Bescherung?
Kaum ist das Publikum draußen, beginnen Security, Haustechnik und Putzfrauen mit Sicherheitscheck und Aufräumarbeiten. Das Leck im historischen Grabendach des Festspielhauses ist bald lokalisiert und abgedichtet. Das Gewitter mit Starkregen, das während der ersten Konzerthälfte draußen niedergegangen ist, hat sich bereits zum typischen Salzburger Schnürlregen verdünnt. Es wird aufgewischt. Konzertchef Florian Wiegand erzählt mir derweil, dass Sokolov nicht mal gefragt habe, was denn da los gewesen sei: Offenbar hat er wirklich nichts bemerkt während des Spiels.
Umso befreiter wirkt Sokolov bei den Zugaben. Sechs wird er spielen – wie immer. Auch das ist Teil des Rituals. Und wie immer sind die Zugaben das Beste. Zweimal noch spielt er Schubert, nun aber viel emotionaler als im Hauptprogramm. Endlich gibt es Spontaneität und Verausgabung. Und berührende Momente bei Scarlatti, Skrjabin und Debussy. Und Humor! Wer hätte das gedacht: Sokolov macht mit dem Regentropfen-Prélude von Chopin einen ironischen Kommentar. In der Pause hat man ihm offenbar erzählt, was los war. Ein Grund, beim Verbeugen zu lächeln, ist das zwar noch lange nicht. Doch Gründe für den begeisterten Jubel, der ihm entgegenschlägt, hat Sokolov an diesem denkwürdigen Abend mehr als genug gegeben.
Sendung: "Leporello" am 09. August 2018 ab 16:05 auf BR-KLASSIK