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Salzburger Festspiele 2018 Am Limit - Beethoven mit Currentzis

Für seinen imposanten Salzburger Beethoven-Zyklus wählt Teodor Currentzis den radikalen Zugriff. In fünf Konzerten führte der griechische Dirigent alle neun Symphonien auf. Bei BR-KLASSIK-Kritiker Fridemann Leipold hat dieser Beethoven-Parcours einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen.

Teodor Currentzis mit seinem Salzburger Beethoven-Zyklus: Eine Bilanz

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"Con brio", also "Mit Schwung" schreibt Beethoven oft über die Ecksätze seiner neun Symphonien. Für den radikalen Beethoven-Zugriff von Teodor Currentzis wäre dieses Etikett eine glatte Untertreibung – er geht gern ans Limit oder auch aufs Ganze. Mit Feuereifer, messerscharfer Attacke und pulsierender Energie treibt er sein Originalklang-Orchester MusicAeterna immer nach vorne. Seine oft rasenden Tempi sind bei Beethoven an sich nichts Neues mehr, Currentzis nimmt dessen umstrittene Metronomangaben einfach nur beim Wort. In den langsamen Sätzen atmet Currentzis mit der Musik und phrasiert melodische Bögen organisch aus.

Angst vor Sentimentalität?

Früher war Vibrato ein, wenn auch sparsam, so doch gezielt eingesetztes Stilmittel. Da Currentzis seinen Streichern keinerlei Vibrato erlaubt, ergibt das in ruhigen Passagen einen zwar schwebenden, aber auch merkwürdig körperlosen Klang. Dazu kommen die begrenzten tonlichen Möglichkeiten der alten Blasinstrumente. Lyrische Verinnerlichung, die direkt ins Herz zielen würde, hat bei Currentzis keine Priorität – vielleicht aus Angst, sentimental zu werden.

Revolutionärer Pathos, bodenlose Abgründe

Seine Stärken liegen woanders, wie der imposante Salzburger Beethoven-Zyklus gezeigt hat. Currentzis setzt auf krasse dynamische Kontraste, lässt das "Freude"-Thema in der Neunten Symphonie im fast unhörbaren Pianissimo beginnen. Genauso wie das feierlich schreitende Allegretto der Siebten. Um dann in der "Pastorale" das Unwetter mit einer Wucht losdonnern zu lassen, die Wagners Seestürme im "Fliegenden Holländer" vorwegnimmt. Im Adagio der als gefällig geltenden Vierten reißt Currentzis bodenlose Abgründe auf. Die "Eroica" inszeniert er als packendes instrumentales Drama, in der Fünften treibt er das revolutionäre Pathos auf die Spitze.

Das Mozarteum wird zum Palais Lobkowitz

Im Salzburger Mozarteum fühlte ich mich manchmal wie im Wiener Palais Lobkowitz – ja, so könnte Beethoven damals geklungen haben. Mit all den Unzulänglichkeiten und Intonationstrübungen, die man bei der historischen Aufführungspraxis eigentlich überwunden glaubte. Im MusicAeterna-Ensemble wirken die Streicher recht homogen, während die Holzbläser und Hornisten nicht auf dem gleichen Niveau agieren – Currentzis überfordert sie mit seinen Tempi manchmal auch.

Der Charme des Unperfekten

Mein Eindruck bleibt zwiespältig: Mag der Beethoven-Parcours von Currentzis und seiner sympathischen Truppe aus Perm den Charme des Unperfekten und auch Unfertigen haben – er mischt gängige Interpretationsmuster auf, und das tut gerade Salzburg gut. Klar, sein Schwarz-Weiß-Konzept bei Beethoven ist ausbaufähig. Aber: "Wahre Kunst ist eigensinnig", wusste schon Beethoven. Und der Furor von Currentzis ist elektrisierend, mitreißend, nah an Beethoven. Zum Tiefpunkt wurde zuletzt die Achte Symphonie, die unterprobt wirkte, im ruppiger Monotonie vorbeigaloppierte. Dafür entschädigte am Ende eine perfekt durchgearbeitete Siebte, die hier wirklich eine "Apotheose des Tanzes" war. Da gab es dann kein Halten mehr im Publikum – Teodor Currentzis, der den Geniekult am Dirigentenpult wiederaufleben lässt, ist halt auch ein charismatischer Feuerkopf.

Sendung: "Allegro" am 24. August 2018 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK