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Salzburger Festspiele 2018 Beethoven mit Currentzis und MusicAeterna

In fünf Konzerten führt der griechische Dirigent Theodor Currentzis alle Symphonien Beethovens bei den Salzburger Festspielen auf. Zum Auftakt des Zyklus' am 15. August jagte das Enfant terrible der Originalklangszene in gerade mal einer Stunde durch Beethovens Neunte. BR-KLASSIK-Kritiker Fridemann Leipold war in der Felsenreitschule dabei.

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli

Am Ende gab’s dann doch Standing Ovations in der Salzburger Felsenreitschule für Teodor Currentzis und seine MusicAeterna-Ensembles aus Perm. Nach den ersten beiden Sätzen von Beethovens Neunter Symphonie war noch ein hörbares Raunen durchs Publikum gegangen – der Parforceritt des griechischen Zampanos hatte wohl manchem den Atem verschlagen oder die Leute in fassungsloses Staunen versetzt. Wie ein Wirbelwind raste Beethovens Neunte durch die Felsenreitschule – mit seinen rasanten Tempi dürfte Currentzis sogar noch Beethovens Metronomangaben übertroffen haben. In gerade mal einer Stunde ist er mit der Neunten durch.

Beethovens Musik als Rausch und Exzess

Bei Beethoven hat Currentzis ein echtes Originalklang-Orchester in kleiner Besetzung vor sich: MusicAeterna besteht aus lauter jungen, hochmotivierten Musikern, die Männer sind deutlich in der Überzahl. Alle bis auf die Cellisten spielen im Stehen, so können sie freier agieren. Die Streicher haben Darmsaiten aufgezogen, dazu kommen Traversflöten, alte Oboen, Naturhörner, knackige Kesselpauken. Das ergibt einen ohrenfetzenden historischen Sound bei Beethoven. Currentzis bevorzugt messerscharfe Akzente, pulsierende Rhythmen, präzise Handkante, federnden Drive. Seine Musiker hat er fest im Griff – wie aus einem Guss klingt etwa die zwölfköpfige erste Geigengruppe.

Wie aus dem Nichts kommt der Quintklang zu Beginn der Neunten, aber auch da schon meißelt Currentzis die punktierten Rhythmen gestochen scharf heraus. Im harsch aufgerauhten Klang von MusicAeterna wirkt Beethovens Furor elektrisierend. Das Scherzo wird zum wilden, schroffen Tanz. Wie Peitschenhiebe prasseln die Paukenschläge durch den Raum – Musik als Rausch, als Exzess, als Überwältigung. Am anderen Ende der dynamischen Skala steht bei Currentzis die Hörschwelle zur Stille. So lässt er das Thema „Freude, schöner Götterfunken“, wenn es im Chorfinale zum ersten Mal von Celli und Kontrabässen angestimmt wird, in fast unhörbarem Pianissimo beginnen.

Exaltierter Tänzer am Pult

Bildquelle: Salzburger Festspiele / Marco Borrelli Beethovens Hell-Dunkel-Dramaturgie reizt Currentzis durch extreme Schwarz-Weiß-Kontraste wirkungsvoll aus. Dazwischen gibt es wenig – die Defizite seines Konzepts, das ganz auf Struktur und Rhythmus setzt, zeigen sich vor allem im gesanglichen Adagio. Da wirkt der vollkommen vibratolose Streicherklang arg mager und ausgedörrt, ein Eindruck, der durch den eher spröden Klang der alten Holzblasinstrumente verstärkt wird. Gerade im Adagio wird erkennbar, dass der Ansatz von Currentzis manchmal auf Kosten der lyrischen Intensität geht. Und zumindest die Hornisten überfordert Currentzis durch seine irrwitzigen Tempi in schwindelerregenden Passagen hörbar.

Currentzis ist ein exaltierter Tänzer am Pult, der seine Leute ohne Taktstock animiert. Das gilt auch für die Sänger, für das ausgesprochen homogene Solistenquartett sowie für die vereinigten Chöre aus Perm und Salzburg, die Currentzis perfekt zusammenschweißte. Sie schleuderten Beethovens hochaktuelle Verbrüderungs-Botschaft mit aller Macht ins Publikum – ein Aufschrei, fast ein erzwungener Jubel. Dazu kommt die zündende Janitscharenmusik, die von einem monströsen Kontrafagott aus tiefsten Regionen schnarrend angeführt wird.

Korrektiv zum philharmonischen Wohlfühlsound

Mit seiner auf ihn eingeschworenen Truppe ist Teodor Currentzis eine imposante Interpretation der mit weltanschaulicher Bedeutung nur so aufgeladenen Neunten Symphonie Beethovens gelungen. Sicher nicht der Weisheit letzter Schluss, schließlich mangelt es nicht an hochrangigen Beethoven-Einspielungen in historisch informierter Lesart. Aber der kompromisslos radikale Zugriff von Currentzis packt einen unmittelbar, lässt niemanden kalt. Und solche Angriffe auf unser Ohr sind zwingend notwendig als Korrektiv zum philharmonischen Wohlfühlsound, wie er vor allem und gerade in Salzburg bei den Wiener Klassikern jahrzehntelang kultiviert wurde.

Beethoven-Zyklus mit Theodor Currentzis

Janai Brugger, Sopran
Elisabeth Kulman, Alt
Sebastian Kohlhepp, Tenor
Michael Nagy, Bass

MusicAeterna Choir of Perm Opera
Vitaly Polonsky, Choreinstudierung
Bachchor Salzburg
Alois Glaßner, Choreinstudierung
MusicAeterna of Perm Opera

Leitung: Teodor Currentzis

Ab 15. August

Details zu weiteren Terminen und Tickets finden Sie auf der Homepage der Salzburger Festspiele.

Sendung: "Allegro" am 16. August 2018 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK