In fünf Konzerten führt der griechische Dirigent Theodor Currentzis alle Symphonien Beethovens bei den Salzburger Festspielen auf. Zum Auftakt des Zyklus' am 15. August jagte das Enfant terrible der Originalklangszene in gerade mal einer Stunde durch Beethovens Neunte. BR-KLASSIK-Kritiker Fridemann Leipold war in der Felsenreitschule dabei.
Am Ende gab’s dann doch Standing Ovations in der Salzburger Felsenreitschule für Teodor Currentzis und seine MusicAeterna-Ensembles aus Perm. Nach den ersten beiden Sätzen von Beethovens Neunter Symphonie war noch ein hörbares Raunen durchs Publikum gegangen – der Parforceritt des griechischen Zampanos hatte wohl manchem den Atem verschlagen oder die Leute in fassungsloses Staunen versetzt. Wie ein Wirbelwind raste Beethovens Neunte durch die Felsenreitschule – mit seinen rasanten Tempi dürfte Currentzis sogar noch Beethovens Metronomangaben übertroffen haben. In gerade mal einer Stunde ist er mit der Neunten durch.
Bei Beethoven hat Currentzis ein echtes Originalklang-Orchester in kleiner Besetzung vor sich: MusicAeterna besteht aus lauter jungen, hochmotivierten Musikern, die Männer sind deutlich in der Überzahl. Alle bis auf die Cellisten spielen im Stehen, so können sie freier agieren. Die Streicher haben Darmsaiten aufgezogen, dazu kommen Traversflöten, alte Oboen, Naturhörner, knackige Kesselpauken. Das ergibt einen ohrenfetzenden historischen Sound bei Beethoven. Currentzis bevorzugt messerscharfe Akzente, pulsierende Rhythmen, präzise Handkante, federnden Drive. Seine Musiker hat er fest im Griff – wie aus einem Guss klingt etwa die zwölfköpfige erste Geigengruppe.
Wie aus dem Nichts kommt der Quintklang zu Beginn der Neunten, aber auch da schon meißelt Currentzis die punktierten Rhythmen gestochen scharf heraus. Im harsch aufgerauhten Klang von MusicAeterna wirkt Beethovens Furor elektrisierend. Das Scherzo wird zum wilden, schroffen Tanz. Wie Peitschenhiebe prasseln die Paukenschläge durch den Raum – Musik als Rausch, als Exzess, als Überwältigung. Am anderen Ende der dynamischen Skala steht bei Currentzis die Hörschwelle zur Stille. So lässt er das Thema „Freude, schöner Götterfunken“, wenn es im Chorfinale zum ersten Mal von Celli und Kontrabässen angestimmt wird, in fast unhörbarem Pianissimo beginnen.
Currentzis ist ein exaltierter Tänzer am Pult, der seine Leute ohne Taktstock animiert. Das gilt auch für die Sänger, für das ausgesprochen homogene Solistenquartett sowie für die vereinigten Chöre aus Perm und Salzburg, die Currentzis perfekt zusammenschweißte. Sie schleuderten Beethovens hochaktuelle Verbrüderungs-Botschaft mit aller Macht ins Publikum – ein Aufschrei, fast ein erzwungener Jubel. Dazu kommt die zündende Janitscharenmusik, die von einem monströsen Kontrafagott aus tiefsten Regionen schnarrend angeführt wird.
Mit seiner auf ihn eingeschworenen Truppe ist Teodor Currentzis eine imposante Interpretation der mit weltanschaulicher Bedeutung nur so aufgeladenen Neunten Symphonie Beethovens gelungen. Sicher nicht der Weisheit letzter Schluss, schließlich mangelt es nicht an hochrangigen Beethoven-Einspielungen in historisch informierter Lesart. Aber der kompromisslos radikale Zugriff von Currentzis packt einen unmittelbar, lässt niemanden kalt. Und solche Angriffe auf unser Ohr sind zwingend notwendig als Korrektiv zum philharmonischen Wohlfühlsound, wie er vor allem und gerade in Salzburg bei den Wiener Klassikern jahrzehntelang kultiviert wurde.
Janai Brugger, Sopran
Elisabeth Kulman, Alt
Sebastian Kohlhepp, Tenor
Michael Nagy, Bass
MusicAeterna Choir of Perm Opera
Vitaly Polonsky, Choreinstudierung
Bachchor Salzburg
Alois Glaßner, Choreinstudierung
MusicAeterna of Perm Opera
Leitung: Teodor Currentzis
Ab 15. August
Details zu weiteren Terminen und Tickets finden Sie auf der Homepage der Salzburger Festspiele.
Sendung: "Allegro" am 16. August 2018 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK