Was macht das mit einem, wenn man das sichere Nest verlässt und in die weite Welt zieht? Und wie ist es, dann wieder zurückzukommen? Musikalische Antworten liefert der österreichische Bariton Rafael Fingerlos auf seinem Album "Fremde Heimat". Warum er solch ein Konzeptalbum so toll findet, erzählt er bei SWEET SPOT.
Das gute alte Konzeptalbum: Rafael Fingerlos liebt diese Form, wenn Lieder durch eine Geschichte führen, wenn sich durch die Anordnung der Lieder eine Reise mit Anfang und Ende ergibt. Für sein aktuelles Album gilt das im doppelten Sinn. In "Fremde Heimat" geht es ums Unterwegssein und ums Stehenbleiben, ums Weggehen und Wiederkommen. Und dabei muss man sich nicht entscheiden, was besser ist. Wie er sich mit all den Gefühlen und Stimmungen, die in den Liedern vermeintlich vorgegeben sind, herumschlägt - und sie interpretiert, kann man praktischerweise auch im Booklet des Albums nachlesen. Und ein bisschen hier nachlesen.
Geboren Tamsweg, Lungau (Salzburg); Gesangsstudium bis 2013 am Konservatorium Wien Privatuniversität; 2016 Debüt als Papageno an der Semperoper; seit der Saison 2016/2017 Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper.
"Keinen hat es noch gereut, der das Roß bestieg". Die Parole bei Johannes Brahms gibt die Richtung vor - ganz am Anfang von Rafaels Album. Doch ganz so einfach ist es natürlich nicht, sagt Rafael. Denn später heißt es dann etwa bei Franz Schubert "zeigt mir jene Stelle, wo ich das Liebste verlor." Ob es also reine Lebensfreude oder doch auch Flucht ist, was einem zum Aufbruch veranlasst? Das soll offen bleiben. Denn das ist ja immer das Spannende.
Und der Begriff Heimat? Da geht es im Prinzip um die Suche nach Geborgenheit, sagt Rafael. Und klar, das sei auch autobiographisch motiviert. "Für mich persönlich ist herausgekommen, dass das kein Ort ist und kein Platz. Es können Menschen sein. Und vor allem dieses Gefühl, das immer bei einem bleibt." Der Begriff Heimat verändere sich ja sowieso immer wieder.
Dass er aus einem kleinen Dorf kommt, wo es Bergseen gibt, wo kein Mensch ist, das hat jetzt, seitdem Rafael beruflich in der Klassik-Maschinerie eingespannt ist, wieder eine neue Bedeutung. Und natürlich gibt es da noch die musikalische Heimat. Bei ihm daheim haben alle mit Musik zu tun: der Papa ist Musiker und Musiklehrer, der Bruder auch und die Schwester arbeitet im Musikmanagement. Als Rafael klein war wurde Volksmusik gespielt, er auf der steirischen Zieharmonika. Dann gab es über den Vater eine gute Portion Jazz, eine Rockband als Teenager, Singen im A-Capella-Ensemble und Chor. "Vielleicht ist die musikalische Heimat aber wirklich in der Tätigkeit des Singens. Unabhängig vom Genre. Alles andere sind Phasen", überlegt er im Interview mit SWEET SPOT. Am Ende seines Albums singt Rafael klassisch im Dialekt das Lied "Deine Händ mecht i gspian". Eine spannende Kombination aus einigen seiner bisherigen Phasen. Und ein perfekter Schlusspunkt.
Am 29. Juni 2020 um 21:30 Uhr ist Rafael Fingerlos zu Gast bei SWEET SPOT – zugeschaltet aus Wien. Er stellt sein neues Album "Fremde Heimat" mit Liedern von u.a. Brahms, Mahler, Wolf, Schubert und Warlock vor. Erschienen bei Oehms Classics - Co Produktion mit BR-KLASSIK.
Es moderieren Svenja Wieser und Gino Thanner.
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