Die Geigerin Anne-Sophie Mutter macht sich für notleidende Musikerkollegen stark. Am 15. November wird sie um 9:30 Uhr und um 18 Uhr bei Gottesdiensten in der Leipziger Thomaskirche spielen. Damit möchte die Star-Geigerin Spenden für die Deutsche Orchesterstiftung sammeln. Mit dabei sind auch der Cellist Daniel Müller-Schott, der Geiger Mohamed Hiber und der Bratschist Vladimir Babeshko. Warum Anne-Sophie Mutter trotz Teil-Lockdown und coronabedingtem Konzertverbot ausgerechnet jetzt auftritt, erklärt sie im Gespräch mit BR-KLASSIK.
Bildquelle: Reuters (RNSP)
BR-KLASSIK: Sie spielen am Sonntag während zweier Gottesdienste in der Leipziger Thomaskirche. Hätten Sie sich jemals vorstellen können, dass Sie sich ein solches Schlupfloch suchen müssen, um überhaupt spielen zu können?
Anne-Sophie Mutter: Das ist schon ganz erstaunlich. Meine Musikerkollegen und ich sind aber dankbar für diese Lücke und sehr froh, dass wir am Sonntag in der Thomaskirche am Sonntag spielen dürfen. Nun ist Musik in der Kirche ja für mich als Kirchgängerin das größte Geschenk. Und an der Wirkungsstätte von Bach spielen zu dürfen, ist immer etwas besonderes, ob innerhalb eines Gottesdienstes oder als reales Konzert. Für uns sind die Auftritte besonders sinnfällig, weil wir für die Deutsche Orchesterstiftung spielen, die schon im Frühjahr einen Nothilfefonds gegründet hat. Wir wollen ein Licht auf die 55.000 Musiker werfen, die in der Corona-Pandemie unverschuldet in Not geraten sind.
BR-KLASSIK: Haben Sie Bedenken gehört, als Sie mit diesem Plan, im Gottesdienst zu spielen, losgezogen sind?
An der Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach spielen zu dürfen, ist für Anne-Sophie Mutter ein großes Geschenk. | Bildquelle: DG Anne-Sophie Mutter: Es ist an sich ja nicht ungewöhnlich, dass Musik in einem Gottesdienst erklingt. Ungewöhnlich vielleicht ist, dass meine Kollegen, meine Stipendiaten und ich jetzt die Offensive ergriffen haben und viele große Kirchen angefragt haben, ob wir dort im Rahmen eines Gottesdienstes einen kleinen Beitrag leisten dürfen, um Musik wieder im Leben darzustellen und für Spenden zu werben. Das Schöne an der Initiative der Thomaskirche ist, dass das gesammelte Geld an Musikerinnen und Musiker weitergegeben werden soll, die ihrerseits in der Thomaskirche innerhalb eines Gottesdienstes ihren Beitrag leisten dürfen. Dafür werden sie dann auch entlohnt. Ich finde diese Art der Zuwendung besonders würdevoll, denn ist es kein Almosen, was den Musikerkolleginnen und -kollegen zufließt, sondern sie dürfen tun, was Sinn und Zweck ihres Lebens ist, nämlich Musik zu teilen.
In Zeiten der Krise brauchen wir Musik mehr als einen Pulli oder Socken.
BR-KLASSIK: Sie werden ganz sicher bei Ihrem Auftritt in Leipzig polarisieren. Auf der einen Seite wird Ihr Mut bewundert, aber es wird auch Kritiker geben, denn Konzerte sind ja im November offiziell verboten. Die Leipziger Volkszeitung hat geschrieben: "Anne-Sophie Mutter spielt trotz Konzertverbots in Leipzig". Warum ist es denn ausgerechnet jetzt so wichtig zu spielen?
Notleidenden zu helfen liegt ihr am Herzen: Anne-Sophie Mutter bei der Spendenaktion "Sternstunden" im Jahr 2017. | Bildquelle: BR / Markus Konvalin Anne-Sophie Mutter: Es ist jetzt besonders wichtig, weil die Hilfspakete bei den Bedürftigen nur spärlich und spät ankommen und weil wir nicht davon ausgehen können, dass der Teil-Lockdown am 1. Dezember zuende ist. Viele Künstlerinnen und Künstler sind bereits am Rande des finanziellen Ruins. Es geht uns aber auch um Hunderttausende von Menschen, die keinen Zugang mehr zu einem Konzerterlebnis haben, zu dieser Art von ganz unvermittelter Trostspendung und emotionalem Gemeinschaftserlebnis. Ich glaube, dass der Zeitpunkt überfällig ist. In Zeiten der Krise brauchen wir die Musik mehr als noch einen Pulli oder ein paar Socken. Die Welt wird einfach ein besserer Platz, wenn wir Schönes teilen, wenn wir uns auch gegenseitig die Sorgen ein bisschen nehmen können und sie auf mehrere Schultern legen dürfen.
BR-KLASSIK: Ein bisschen hat man momentan den Eindruck, dass Gottesdienste gegen Konzerte ausgespielt werden. Nach dem Motto: Die anderen dürfen, wir dürfen nicht. Was denken Sie darüber?
Anne-Sophie Mutter: Es ist für mich absolut nicht nachvollziehbar, warum das Grundrecht auf Religionsfreiheit dem Grundrecht auf Musik und Kunst übergeordnet wird. Zumal man kritischerweise auch darauf hinweisen muss, dass es international mehr Spreader-Events in Kirchen gab als in einem Konzertsaal.
Was bedeutet laut Verfassung eigentlich "Kunstfreiheit"? Und hat die Religionsfreiheit im Grundgesetz einen höheren Stellenwert als die Freiheit der Kunst? BR-KLASSIK hat beim Verfassungsrechtler Dieter Grimm nachgefragt.
BR-KLASSIK: Sie nehmen Corona sicher nicht auf die leichte Schulter; im Frühjahr waren Sie selber infiziert. Wie lange hat es gedauert, bis Sie sich wieder gesund gefühlt haben?
Wieder genesen von Covid-19: Anne-Sophie Mutter nimmt den Opus Klassik 2020 entgegen. | Bildquelle: Monique Wuestenhagen Anne-Sophie Mutter: Das ist schwer zu sagen, weil die Infektion mitten im Lockdown kam und ich schwer einschätzen konnte, ob meine Müdigkeit eine Spätfolge von Corona war oder damit zusammenhing, dass ich nicht raus durfte und mich wochenlang nicht wirklich bewegt habe. Bei mir verlief die Krankheit zum Glück fast symptomlos, eigentlich ohne Fieber und Husten. Aber niemand sollte diese Erkrankung auf die leichte Schulter nehmen! Meine Kollegen und ich lassen uns, gerade weil wir ja relativ eng zusammenarbeiten, regelmäßig testen. Gott sei Dank gibt es den Schnelltest, der inzwischen auch nicht mehr irrsinnig teuer ist. Gerade sind wir wieder getestet worden, damit wir sicher sein können, nicht zum Spreader zu werden und wirklich niemanden zu gefährden.
Die Welt wird ein besserer Platz, wenn wir Schönes teilen.
Anne-Sophie Mutter: Sie betonen, dass am Sonntag in der Thomaskirche kein Konzert stattfindet, sondern Sie einen musikalischen Beitrag zur Gestaltung der Gottesdienste leisten. Wie haben Sie das Programm ausgewählt?
Anne-Sophie Mutter: Das Programm ist in enger Absprache sowohl mit den beiden Predigern als auch mit der Organistin entstanden, weil wir eben nur ein kleiner Teil des großen Ganzen sind. Wir haben uns auf ein kurzes, sehr frühes Quartett von Mozart geeinigt, außerdem ein Werk von Bach und einen kurzen Quartettsatz von Schubert.
BR-KLASSIK: Könnte es nicht sein, dass am Sonntag durch ihren Auftritt ein unglaublicher Run auf den Gottesdienst stattfindet?
Anne-Sophie Mutter: Das glaube ich nicht. Es wird ein ganz normaler Gottesdienst sein, mit einer begrenzten Anzahl an Plätzen. Ich hoffe allerdings, dass mein Spendenaufruf auch von denen gehört wird, die am Sonntag verhindert sind und nicht in die Thomaskirche kommen können. Dass sie spenden, einfach auch aus glücklicher Erinnerung an die vielen wunderbaren Momente, die Musikerinnen und Musiker ihnen beschert haben.
Auftritte in Gottesdiensten können für Musiker ein Schritt aus der Isolation sein.
BR-KLASSIK: Würden Sie sich wünschen, dass in diesem November noch mehr musikalische Gottesdienste veranstaltet werden, um Musikerinnen und Musikern Auftritte zu ermöglichen?
Anne-Sophie Mutter erhält den Bundesverdienstorden 2016. | Bildquelle: picture-alliance/dpa Anne-Sophie Mutter: Ich könnte mir vorstellen, dass es durchaus eine Bereicherung für die Liturgie und für den Ablauf einer festlichen Predigt ist, wenn mehr Instrumentalmusik einfließen darf. Wenn man dadurch meinen Musikerkolleginnen und -kollegen eine Auftrittsmöglichkeit mit monetärem Entgelt verschaffen kann, dann halte ich das für sehr sinnvoll. Vielleicht auch im Duett mit Spendenaufrufen für diejenigen, die momentan nicht spielen dürfen. Es wäre auch ein Geschenk an die Gottesdienstbesucherinnen und -besucher, die sich auf die Predigt und auf die Musik freuen. Gleichzeitig würde es für uns Musiker einen Schritt aus der Isolation und hinein wieder zurück ins Leben bedeuten. In das, was das Leben ja letzten Endes ausmacht: das Teilen von Emotionalität, von einem Geschenk, dass die Kunst generell ist und die Musik im Besonderen.
Sendung: "Leporello" am 13. November 2020 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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