BR-KLASSIK

Inhalt

Musikfestival "Bartók for Europe" Ein Pazifist als Nationalheld

"Bartók for Europe" - so lautet der Titel eines neuen Festivals, gegründet im Bartók-Jubiläumsjahr. BR-KLASSIK Reporterin Kathrin Hasselbeck hat nachgefragt: ein pro-europäisches Signal aus Ungarn? Oder aber wird der Volksheld Bartók hier als Nationalist instrumentalisiert?

Komponist Béla Bartók | Bildquelle: © dpa/wikicommons // MONTAGE BR

Bildquelle: © dpa/wikicommons // MONTAGE BR

Béla Bartók – ungarischer Nationalheld

Ein Festival, das ausschließlich von der ungarischen Regierung finanziert wird und sich gleichzeitig "for Europe" nennt - wie passt das mit der europakritischen Haltung der derzeitigen ungarischen Regierung zusammen? Im Falle des "Bartók for Europe" funktioniert das, indem sich die Festival-Organisatoren den Namen eines Komponisten auf die Fahne schreiben, der sowohl als Nationalheld taugt als auch für Völkerverständigung steht. Spricht man mit dem ungarischen Pianisten Dénes Várjon, der beim Festival in München auftritt, über Béla Bartók, schwelgt er in Erinnerungen: Für ihn ist Bartóks Musik ein Stück Heimat. Kein Wunder: Bartók gilt als Volksheld. Als Kind in Ungarn kommt man um ihn nicht herum, schon gar nicht, wenn man Klavier lernt.

Bartók bedeutet für mich meine Kindheit, meine Wurzeln, meine Familie.
Dénes Várjon, Pianist

Bartók war Ungar und er war fasziniert von Volksmusik. Allerdings beschränkte er sich bei weitem nicht auf ungarische Melodien. In seiner Volksliedsammlung mit mehr als 200.000 Stücken findet sich auch Rumänisches, Slowakisches, Türkisches, Arabisches und mehr.

Bartók - kein Nationalist?

Besonders gefallen haben Bartók Melodien aus Grenzgebieten, weil sich in ihnen unterschiedliche Einflüsse und Klänge mischen. Bartók war überzeugt davon, dass Volksmusik genau von solcher gegenseitiger Beeinflussung lebt. In seinem Artikel "Rassenreinheit in der Musik" aus dem amerikanischen Exil schreibt er im Jahr 1942: "Wenn für die nähere oder fernere Zukunft ein Überleben der Volksmusik erhofft werden darf (eine ziemlich zweifelhafte Aussicht, angesichts des rapiden Eindringens höherer Kultur in die entferntesten Weltgegenden), dann ist offensichtlich die künstliche Errichtung von chinesischen Mauern zur Trennung eines Volkes vom andern für die Entwicklung der Volksmusik sehr ungünstig. Eine vollkommene Absperrung gegen fremde Einflüsse bedeutet Niedergang; gut assimilierte fremde Anregungen bieten Bereicherungsmöglichkeiten."

Eine vollkommene Absperrung gegen fremde Einflüsse bedeutet Niedergang.
Béla Bartók

Trotz der fragwürdigen Verwendung des Begriffs der Assimilierung - betrachtet man Bartóks Äußerungen und sein Schaffen, liegt nichts ferner als ihn zum Nationalisten zu machen. Bartóks Werte und Ideale gehen weit über sein Ungar-Sein hinaus. Sicher: In jungen Jahren war der Komponist auf der Suche nach einem nationalen Stil, grenzte sich - wie es Mode war - als Ungar gegenüber Österreich ab. Doch spätestens durch seine Beschäftigung mit den Volksliedern, durch seine musikethnologischen Forschungen wurde ihm klar, dass Kultur sich nicht an nationale Grenzen hält. Er war ein Befürworter der Verbrüderung der Völker, ein Kosmopolit. Trotzdem heißt es in der "Philosophie", die der künstlerische Leiter András Keller dem Festival "Bartók for Europe" beifügt:

Bartók for Europe – Die Idee

"Seine Musik repräsentiert die Werte, nach denen die Menschen in Europa derzeit suchen. (...) Was wir am meisten vermissen, findet sich exakt im Geiste Bartóks: die Wahrung von nationalem Charakter und unserem Erbe, und auf diesem Fundament die Verwirklichung einer wahrhaftigen und authentischen europäischen Integration. Was Europa braucht, ist eine neue innere Balance und eine intellektuelle und spirituelle Renaissance mit klaren Ideen. (...) in Bartóks Werk finden wir die Inspiration, die wir für die Erneuerung Europas brauchen. (...) Bartóks Musik ist auf europäische Weise ungarisch und auf ungarische Weise europäisch, ist speziell und individuell und unverkennbar in jedem Konzertsaal dieser Welt."

Auszug aus der "Philosophie" des "Bartók for Europe"-Festivals

Solche Formulierungen werfen Fragen auf: Soll Bartók hier als Vorbild für einen sympathischen Nationalismus instrumentalisiert werden? Schreiben sich die ungarischen Veranstalter Werte Bartóks auf die Fahne, die die anti-europäische Abschottungs-Politik Victor Orbáns kulturell rechtfertigen sollen? Oder ging es umgekehrt darum, ein positives Signal aus Ungarn zu senden: Wir können beides - national und europäisch-brüderlich?

Zur Rechtfertigung gezwungen

Pianist Dénes Várjon | Bildquelle: © Balázs Böröcz Pianist Dénes Várjon | Bildquelle: © Balázs Böröcz Der Pianist Dénes Várjon wird in den letzten Jahren immer häufiger im Ausland auf seine Heimat Ungarn und die dortigen politischen Entwicklungen angesprochen. Er mag das nicht, es fühle sich nicht gut an – schließlich sei Ungarn sein Zuhause. Eigentlich möchte Dénes Várjon sich ungern politisch äußern, er sieht sich als Musiker. Aber er merkt auch, dass es bei der momentanen politischen Lage in Europa kaum mehr möglich ist, sich einer Stellungnahme zu entziehen. Daher bezieht er sich auf Bartók:

Behalte deine Wurzeln, die sind sehr wichtig. Aber gleichzeitig: Schließe nicht die Türen, öffne sie.
Dénes Várjon, Pianist

Und dann erzählt Dénes Várjon noch, dass er zuhause in Ungarn viele Menschen kennt, die nicht finden, dass die Türen geschlossen werden sollten. Ungarn sei ein Teil Europas, genau das wolle das Festival ausdrücken.

Ein Festival für Europa?

"Bartók for Europe", das klingt pro-europäisch, und tatsächlich soll auch mehr als "nur" die Musik Bartóks eine Rolle spielen und an wechselnde Spielorte (dieses Jahr München, nächstes und übernächstes Jahr dann Warschau und London) gebracht werden. Als Komponisten müsse man Bartók nicht mehr bekannt machen, seine Werke werden weltweit gespielt, so Pressesprecherin Julia Kadar. Die Idee des Festivals sei es, auch seine menschlichen Ideale und philosophischen Einstellungen zu transportieren.

Wir wollen Bartók als Vorbild nehmen für eine größere Verständigung und Kooperation zwischen Völkern und Nationen.
Julia Kadar, Pressesprecherin

Julia Kadar | Bildquelle: © Klaus Heymach Julia Kadar, Pressesprecherin des "Bartok for Europe"-Festivals | Bildquelle: © Klaus Heymach Eigentlich waren wir von BR-KLASSIK mit dem künstlerischen Leiter des Festivals, András Keller, zum Interview verabredet. Dieser hat kurzfristig abgesagt und sich vertreten lassen. In der vergangenen Woche gab es bereits einige unbequeme Interviews zum Festival und dessen politischer Botschaft. Die Pressesprecherin Julia Kadar möchte betonen, dass die Absicht hinter dem Festival eine positive war, räumt aber auch ein, dass die politische Dimension im Vorfeld wohl unterschätzt wurde. Offen gibt sie zu, dass man von Seiten der Festivalleitung nicht mit dieser "Infragestellung der Philosophie" des Festivals gerechnet habe, dass man sich der Widersprüche nicht bewusst gewesen sei.

"Es ist schon richtig, dass die ungarische Regierung in eine andere Richtung geht. Aber man kann das ja auch so betrachten, dass es gerade umso schöner ist, dass sie so ein Festival unterstützt, auch finanziell."

Inwieweit von Seiten der ungarischen Regierung an der "Philosophie" des Festivals mitgeschrieben wurde, ist unklar. Es ist immerhin das einzige internationale Event im Bartók-Jahr, das von der Regierung gefördert wird. Dass somit die ungarische Regierung eine Fahne mit dem Namen "Bartók" vor sich herträgt, hinterlässt einen komischen Geschmack, wenn man bedenkt, dass Bartók 1940 vor eben jenem ungarischen Staatsoberhaupt ins Exil geflüchtet ist, dem Victor Orbán heute Denkmäler baut: Miklós Horthy. Der ungarische Pianist Dénes Várjon liebt seine Heimat, das spürt man. Die politische Lage bedrückt ihn, sicher auch, weil er plötzlich als Künstler und Vertreter seines Landes im Ausland darauf angesprochen wird. Zum Abschluss betont er, dass er sich als Künstler nach wie vor frei fühlt: "Ich glaube, für einen Künstler ist Freiheit das Wichtigste. Wenn man sich nicht frei fühlt, kann man sich nicht ausdrücken, man kann nicht auf das Leben reagieren."

Bartok for Europe Festival

Vom 25. bis 29. September 2016 findet in München zum ersten Mal das "Bartók for Europe"-Festival statt, das es zukünftig jährlich in verschiedenen europäischen Städten geben soll.

PROGRAMM

25. September, 20.00 Uhr Philharmonie, Gasteig
"Herzog Blaubarts Burg" - Eröffnungsabend mit Concerto Budapest
Beethoven: Symphonie Nr. 1 C-Dur op. 21
Liszt, Klavierkonzert Nr. 2 A-Dur - Dénes Várjon (Klavier)
Bartók: "Herzog Blaubarts Burg" - Petra Lang (Sopran), Gidon Saks (Bass), András Keller (Leitung)

26. September, 20.00 Uhr Philharmonie, Gasteig "Der Wunderbare Mandarin" - mit dem London Philharmonic Orchestra unter Leitung von Vladimir Jurowski
Debussy: Prélude à l’Après-midi d’un faune
Beethoven: Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15 - Valery Afanassiev (Klavier)
Debussy: Iberia Bartók: "Der Wunderbare Mandarin"

27. September, 18.30 Uhr Allerheiligen-Hofkirche "Ungarische Rhapsodie" Kammermusik mit Werken von Bartók und György Kurtag, Peter Eötvös, György Ligeti - mit u.a. dem Keller Quartett, Dénes Várjon (Klavier), Csaba Klenyán (Klarinette)

28. September, 18.30 Uhr Allerheiligen-Hofkirche "Bartóks Quellen" - mit dem Muzsikás Ensemble

28. September, 20.00 Uhr Allerheiligen-Hofkirche "Divertimento" - mit dem Münchner Kammerorchester
Haydn: Sinfonie Nr. 52 in c-Moll
Sándor Veress: Passacaglia concertante Mozart: Oboenkonzert C-Dur KV 314 - François Leleux (Oboe) Bartók: Divertimento für Streicher

29. September "Concerto" - mit den Münchner Philharmonikern unter Leitung von Pablo Heras-Casado Ligeti: Concerto Românesc für Orchester Bartók: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 Bartók: Concerto für Orchester Sz 116

Kommentare (0)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.
Zu diesem Inhalt gibt es noch keine Kommentare.

    AV-Player