"Wer in meinem Klavierspiel den Dadaisten sucht, hat sich in der Tür geirrt," sellt Alfred Brendel klar. Aber es gibt eben auch andere Seiten in ihm. Denen hat Brendel, der nicht nur als Pianist, sondern auch als Autor einiges zu sagen hat, in einem schmalen Buchband über "Sinn, Unsinn und Musik" Raum gegeben. Zum Beispiel in einer fundierten Reflektion über den Dadaismus.
Bildquelle: Hanser Verlag
Der Buchtipp zum Anhören
Die Kunstrichtung des Dadaismus wurde in Zürich 2016 ausgiebig gefeiert, denn dort wurde 100 Jahre zuvor das "Cabaret Voltaire" gegründet, die Dada-Gruppe um Hugo Ball und Hans Arp. Für Alfred Brendel ein Anlass, die Lebenswege der Dadaisten, deren Ausdrucksformen und Eigenheiten in einem klugen Aufsatz zusammen zu fassen. Brendel erläutert hier, wie prägend der Dadaismus für Künstler des 20. Jahrhunderts war, etwa in den neu geschaffenen Ausdrucksmitteln wie Collage, Frottage, Readymade, phonetischer oder visueller Poesie, Tanz, Lärm, Performance.
Mit den Gegensätzen zu leben und Balance zu halten scheint mir immer noch ein nobles Ziel.
Alfred Brendel, Pianist und Autor | Bildquelle: picture alliance/Leemage "Wer Dadaist ist, ist gegen Dada". Ein typischer Spruch der Widersprüchler. Doch Dadaismus ist nicht als bloßer Unsinn anzutun. "Mit den Gegensätzen zu leben und Balance zu halten scheint mir immer noch ein nobles Ziel", sagt Brendel dazu. "Viel später erst begriff ich, dass erst die Verbindung von Sinn und Unsinn imstande ist, die Absurdität dieser Welt zu spiegeln." Auch das Buch spiegelt die Gegensätze von Sinn und Unsinn. Denn Alfred Brendels Texte sind eher sinnstiftend. Die Gedichte dazwischen (von Kurt Schwitters, Christian Morgenstern, Hans Arp oder Ernst Jandl) wecken bei der Leserin die Lust an der phonetischen Poesie, am unbändigen Lachen. Das unbedingt zu dieser Kunstform gehört: Heiterkeit als "Befreiung von den Zwängen des Verstandes"!
In der Musik freilich war Dada weniger ausgeprägt. Schade, dass Brendel die von ihm benannten Werke Mauricio Kagels oder György Ligetis weder auf der beiliegenden CD präsentiert, noch sie bespricht. Dennoch geht es um Musik in Brendels Texten. Er schreibt über sein eigenes musikalisches Leben, setzt sich mit Schuberts "Winterreise" auseinander, dem oft unterschätzten Humor bei Joseph Haydn oder den Gegensätze Licht und Dunkel etwa in Haydns "Schöpfung".
Das Buch steckt voller Trouvaillen, wunderbarer Funde. Brendel selbst pflegt eine klare Sprache, oft so pointiert, dass sie Witz herauskitzelt. Aber brauchen wir heute noch Dada? Alfred Brendel jedenfalls erkennt im heutigen Zustand der Welt Parallelen zu damals. Und - wenn man Sinn und Unsinn mag, könnte man ohnehin sagen: Dada ist tot, es lebe Dada!
Alfred Brendel:
Die Dame aus Arezzo
Sinn, Unsinn und Musik
160 Seiten, gebunden, Mit CD und farbigen Abbildungen
Preis: 24,00 Euro
erschienen beim Hanser Verlag, München
Sendung: "Piazza" am 02. Juni 2018, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK