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Buchtipp – Barbara Beuys: Emilie Mayer Eine Spurensuche zu "Europas größter Komponistin"

Langsam, aber stetig tauchen immer mehr Werke von Frauen auf den Konzertprogrammen auf. Gut so, denn die Musikgeschichte ist und war nie eine reine Männergeschichte. Man denke etwa an den harschen Zauber in der Musik Clara Schumanns oder an die bestechende Klarheit von Fanny Hensel. Die wohl produktivste und im Lebensentwurf auch radikalste Komponistin des 19. Jahrhunderts aber war Emilie Mayer. Als "weiblicher Beethoven" wurde sie zu Lebzeiten auch bezeichnet. Ihr hat die Historikerin Barbara Beuys nun eine umfangreiche Biographie gewidmet.

Bildquelle: Dittrich Verlag

Der Buchtipp zum Anhören

Liebe oder Kunst? Begabte Frauen im 19. Jahrhundert haben sich da oft für eine Seite entscheiden müssen. Und auf welcher die bürgerliche Gesellschaft die Frau lieber sah, war sowieso klar. Frauen sollten ein sicheres, wohliges Zuhause samt einer Schar repräsentabler Kinder schaffen, während die Männer ihr wirkliches oder vermeintliches Genie auslebten.

Eine Leben gegen das Klischee

Die Komponistin Emilie Mayer wurde 1812 im Mecklenburgischen Friedland geboren, in eine gut situierte Apothekerfamilie. Aber Emilie widersetzte sich dem vorgezeichneten Weg ziemlich gekonnt. Sie blieb unverheiratet. Sie komponierte. Sie erlangte Anerkennung. Und sie führte ein relativ unabhängiges und selbstbewusstes Leben, ganz anders etwa als ihre Zeitgenossinnen Clara Schumann und Fanny Hensel. Fannys Vater, Abraham Mendelssohn, verlangte von seiner Tochter zum Beispiel, ihr musikalisches Talent ihren weiblichen Verpflichtungen unterzuordnen.

Kurz und bündig

Dieses Buch wird lieben, wer …
… ein bisschen gelangweilt ist vom klassisch-romantischen Kernrepertoire und gerne neue Musik aus dieser Epoche entdeckt.

Dieses Buch liest man am besten …
… mit Zugriff auf YouTube. Denn die vielen erwähnten Musikstücke machen sofort neugierig.

Dieses Buch ist wie geschaffen für …
... für Menschen, die finden, dass mit der patriarchalen Weltsicht jetzt endlich mal Schluss sein sollte.

Glück mit dem Elternhaus

"Im Mecklenburgischen Friedland hat der Ratsapotheker Mayer [...] keine Bedenken, dass der Organist Driver, den er als Klavierlehrer für seine Tochter Emilie engagiert hat, das musikalische Talent des noch nicht zehn Jahre alten Mädchens kräftig fördert."

Das schreibt Barbara Beuys in ihrer Biografie zu Emilie Mayer. Und sie zeigt: Wenn sich Frauen zu dieser Zeit frei entfalten konnten, hing das auch wieder von der Gunst der Männer ab. Emilie Mayer hatte Glück mit ihrem Vater.

Akribisches Gesellschaftssbild

Die Historikerin Barbara Beuys nähert sich diesem zeitgeschichtlichen Hintergrund in ihrer Mayer-Biografie sehr umsichtig. Eine "Spurensuche" nennt sie ihr Buch im Untertitel. Und das ist es auch: Akribisch zeichnet sie die damalige Gesellschaft nach. Entwirft zunächst ein Bild des frühen 19. Jahrhunderts in Westpreußen: geringe Lebenserwartung, die Napoleonischen Kriege. Düster und eng wirkt es. Und das, obwohl Barbara Beuys es sich versagt, zu literarisch zu werden. Hier schreibt auch eine Wissenschaftlerin, das ist deutlich spürbar. Also nähert sich der Leser Emilie Mayer und ihrer Kunst nicht über erdachte Szenenmalerei, sondern über Daten und Quellen. Genau recherchiert. Ohne Kitsch und ohne Kolportage.

Keine Hollywood-Heldenreise

Was zu Beginn noch etwas trocken wirkt, entfaltet über das Buch hinweg eine große Kraft. Man muss dem Leben Emilie Mayers keine Hollywood-Heldenreise andichten. Diesen Weg hält das Leben der Komponistin schon selbst bereit. Die Hürden und die Ungerechtigkeiten, die sie als Frau mit künstlerischen Ambitionen erfahren musste, vermitteln sich durch den wissenschaftlichen Duktus noch viel krasser – etwa, wenn Beuys beschreibt, wie eng das Korsett aus Geschlechterzuschreibungen war, in das Frauen damals gezwängt wurden:

"Den Charakter von Männern und Frauen hat die Natur auf ewig durch ihre biologische Disposition festgelegt: stark, tatkräftig, mit abstraktem Denkvermögen und deshalb für den Aufritt in der Öffentlichkeit bestimmt, hat der Mann vom Schicksal den edleren Teil erhalten. Entsprechend wird er in diesem Geist auf allen Gebieten der Kunst und also auch in der Musik kreativ sein. Die Frauenzimmer, – nicht grundlos als zweites Geschlecht definiert, – haben den kleineren Verstand, sind schwach und von der Natur lebenslang als Mütter geprägt. Sie können neben dem Kindererziehen in der Musik gerade einmal 'kleine Arbeiten' zustande bringen. Weiblichkeit und kreatives Schaffen schließen einander aus."

Interessanter Ausblick der Zeitgenossen

Spannend ist die Figur der Emilie Mayer auch ohne literarische Zuspitzung. Sichtbar wird sie vor allem durch ihre Briefe, in denen sie etwa selbstbewusst mehr "Tempo beim Druck ihrer Werke" fordert oder empfiehlt, "exzellente Kritiken in die bekannte Musikzeitschrift des Verlags aufzunehmen und Aufführungen zu fördern". Ebenso interessant ist der Außenblick der Zeitgenossen. Auch hier hat Beuys ganz spezielle und besondere Zeilen zu Emilie Mayer gefunden. So schreibt etwa die Schriftstellerin Elisabeth Sangalli-Marr 1877 in der Neuen Berliner Musikzeitung:
"Es gehört zu den Seltenheiten auf dem Gebiet der Musik, selbstständig gestaltenden Frauen zu begegnen. So überhäuft die schriftstellerische Welt mit weiblichen Talenten ist, die musikalische Welt hat wenige aufzuzeigen, und unter diesen wenigen steht Emilie Mayer oben an."
Eine Seelenverwandte der Komponistin nennt Beuys die Kritikerin später.

Historische Ungerechtigkeit

Dass die Musik Emilie Mayers erst heute langsam wiederentdeckt wird, ist nichts anderes als eine historische Ungerechtigkeit. Immerhin hat Mayer mit allein acht Symphonien, 15 Ouvertüren und zehn Streichquartetten richtig viele Werke hinterlassen. Mehr als genug, um die doch recht eintönigen klassischen Konzertprogramme ordentlich aufzumischen.

Infos zum Buch

Barbara Beuys:
Emilie Mayer
Europas größte Komponistin. Eine Spurensuche

Dittrich Verlag, 2021
235 Seiten
22,- Euro

Sendung: "Allegro" am 09. Dezember 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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