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Buchtipp – Reiner Lehberger. Helmut Schmidt am Klavier Ein Leben mit Musik

Helmut Schmidt ist vor allem als Ex-Bundeskanzler und Krisenmanager bekannt und später als Publizist sowie Mitherausgeber der Wochenzeitung "Die Zeit". Aber nur wenige kennen ihn als Mann am Klavier. Dabei ist er genau dies die längste Zeit seines Lebens gewesen, nämlich fast 90 Jahre. Reiner Lehberger hat sich schon in vier Büchern mit dem Ex-Kanzler und seiner Frau beschäftigt. Jetzt zeichnet Lehberger in seinem jüngsten Buch "Helmut Schmidt am Klavier" die Lebensgeschichte des früheren Bundeskanzlers als Pianist nach und öffnet damit eine neue Sicht auf ihn.

Bildquelle: Hoffmann und Campe

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Helmut Schmidt musste immer ein Klavier in seiner Nähe haben. Selbst als Bundeskanzler setzte er sich nach 15-Stunden-Tagen noch daran. Zu Kriegszeiten nahm er Orgelunterricht. Er hat darüber hinaus auch zwei Mietverträge für Leihklaviere unterschrieben, einen in Hamburg, den anderen für seine Wohnung in Schmetzdorf bei Bernau, seinem Standort ab Herbst 1943. Das Spiel an Orgel und Klavier scheint fast unabdingbar für sein Wohlbefinden in jenen Jahren gewesenen zu sein, anders kann könne man den Aufwand, den er dafür betrieben hat, gar nicht erklären, so Autor Lehberger.

Kurz und bündig

Dieses Buch wird lieben, wer …
.... eine andere Seite des Politikers und Publizisten Helmut Schmidt kennenlernen möchte

Dieses Buch liest man am besten …
… mit Musik von Bach

Dieses Buch ist wie geschaffen für …
... alle, die Musik als Lebenselixier betrachten.

Das Interesse für die Musik verdankt er seiner Mutter Ludovika. Sie hat dafür gesorgt, dass er mit sieben Jahren Klavierunterricht bekam. Denn Musik spielte in ihrem Elternhaus eine große Rolle und das wollte sie weitergeben. Der junge Helmut war kein Wunderkind und so war das Üben anfangs lästige Pflicht. Erst in der weiterführenden Lichtwarkschule, seinerzeit in Hamburg berühmt für kreative Pädagogik, erwachte seine Begeisterung für das Klavier. In der Kindheit spielte er meist für die Mutter, später waren vor allem seine Frau und seine Tochter und gelegentlich Freunde sein Publikum. Dann gab er Gershwin, Shantys oder Volkslieder zum Besten. Vor allem aber spielte Helmut Schmidt für sich selbst, um abzuschalten, über Entscheidungen zu reflektieren, Trost zu erfahren und neue Kraft zu gewinnen. Dazu übte er am liebsten Bach oder improvisierte.

Bach ist an vielen Stationen des Lebens für mich immer erneut eine Quelle inneren Friedens gewesen – eine Quelle der inneren Gelassenheit.
Helmut Schmidt

Kanzler produziert eigene Schallplatte

Helmut Schmidt war der erste Kanzler, der eine eigene Schallplatte herausbrachte: Zusammen mit Justus Frantz und Christoph Eschenbach spielte er in den 80er-Jahren Mozarts Konzert für drei Klaviere ein. 1985 dann noch mit Gerhard Oppitz im Bund Bachs Konzert für vier Klaviere. Außer der Klassik mochte Helmut Schmidt Swing und traditionellen Jazz. Mit vielen Musikern verband ihn eine enge Freundschaft, darunter mit Leonard Bernstein, Yehudi Menuhin, Kurt Masur und auch mit Herbert von Karajan. Von ihm wünschte er sich beim zweiten seiner berühmten Kanzlerfeste die "Rhapsodie in Blue".

"Dieser Vorschlag traf jedoch auf die unmissverständliche Ablehnung von Herbert von Karajan. Gershwin gehöre eindeutig nicht zum Programm des Maestro und auch an diesem Abend werde sich das nicht ändern. Schließlich habe ich ihm einen persönlichen Brief geschrieben und meine Bitte erneuert. Darauf hat Karajan nachgegeben, aber unter der strikten Bedingung, dass Alexis Weissenberg den Klavierpart übernähme. So ist es auch geschehen, es wurde eine runde Sache."

Einfluss auf die Musikkultur

Auf 332 Seiten zeichnet Reiner Lehberger nach, wie bildende Kunst und vor allem Musik zu einem festen Bestandteil im Leben von Helmut Schmidt wurden. Auch die jahrzehntelange Ehe mit seiner Frau Loki wurde dadurch getragen. Wo er konnte, nahm Schmidt Einfluss auf die Musikkultur: er half dem Schleswig-Holstein Musik Festival auf die Sprünge, setzte sich beharrliche für das Fortbestehen der Hamburger Symphoniker ein und war Mitinitiator der Bundeswehr Big Band. Reiner Lehberger erzählt lebendig, ohne Schnörkel nah an der Biografie und verwendet Zitate aus Interviews und Reden. Die härteste Diagnose für den Altkanzler war in seinen letzten Jahren der Verlust des Gehörs.

Zeitgeschichtliche Bezüge werden lebendig

Aber Lehberger erwähnt auch ungeklärte Details in Schmidts Lebenserzählung. So habe der sonst politisch so kluge und informierte Helmut Schmidt beispielsweise erst nach der Nazi-Zeit erfahren, dass seine erste Klavierlehrerin Lilly Sington-Rosdal, bei der er zehn Jahre Unterricht hatte, als "Halbjüdin" eingestuft war. Immerhin bestand zwischen beiden später wohl ein loser Kontakt. Und so werden beim Lesen viele zeitgeschichtliche Bezüge lebendig. Das Buch enthält zahlreiche, teils bisher unveröffentlichte Abbildungen. Vor allem bringt es den oft als kühlen Technokraten bezeichneten Politiker Helmut Schmidt als Menschen mit einer unabdingbaren Liebe zur Musik nahe. Und zugleich ist es ein Plädoyer dafür, mit welcher Kraft Musik einen bis ins hohe Alter durchs Leben begleiten kann, ohne deshalb Berufsmusiker werden zu müssen.

Infos zum Buch

Reiner Lehberger
Helmut Schmidt am Klavier
Ein Leben mit Musik

Hoffmann und Campe, 2021
332 Seiten
24,- Euro

Sendung: "Allegro" am 10. Oktober 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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