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Buchtipp – Isadora Duncan. Eine Biografie "Lasst uns tanzen und Champagner trinken – trotz alledem!"

Europa um 1900. Die Tänzerin Isadora Duncan ist der erste weibliche Superstar des neuen Jahrhunderts. Eine Rebellin mit Hang zum großen Drama und zu den falschen Männern. Sie nimmt sich Freiheiten heraus, die für die Frauen jener Zeit undenkbar scheinen. Sie scheitert, fällt, steht immer wieder auf. Und schließlich triumphiert sie – als Pionierin des modernen Tanzes.

CD-Cover "Lasst uns tanzen" | Bildquelle: btb

Bildquelle: btb

Mit 26 ist Isadora Duncan da, wo sie immer schon hinwollte. Sie tanzt. Im Freien. Am Meer. In den Ruinen eines Theaters. Barfuß. In einem Kleid, das Beine und Arme entblößt; mit einem Schal, den sie sich locker um den Hals geschlungen hat.

Meine Vorstellung von Tanz ist es, meinen Körper frei der Sonne zu überlassen, mit meinen Füßen die Erde zu spüren und den Olivenbäumen Griechenlands nahe zu sein.

Schon früh hat sie sich von der Griechenlandbegeisterung, die ihr die Lektüre romantischer Schriftsteller vermittelt hat, aus ihrer Heimat Amerika wegtragen lassen – diesem "Land ohne Geschichte", wie sie sagt. In Griechenland kauft sie ein Grundstück, will dort einen Tanztempel errichten. Doch dann holt sie die Realität ein. Das Projekt hat nämlich einen Haken: Es gibt nirgends einen Wasseranschluss. "Drei Tage später stiegen wir in den Zug, der uns nach Wien bringen sollte."

Kurz und bündig

Dieses Buch wird lieben, …
... wer mit klassischem Ballett nicht so wahnsinnig viel anfangen kann.

Dieses Buch ist ein Lesegenuss, …
... weil es auf sehr unterhaltsame und immer angemessene Weise die Komik und Tragik des Lebens einfängt.

Dieses Buch liest man am besten …

... häppchenweise, bei eisgekühlten Austern und Champagner.

Starke Bilder

Isadoras Leben verläuft in Wellen, das wird schon nach den ersten hundert Seiten dieser Biografie klar. Und von Beginn an gibt uns die Autorin Michaela Karl starke Bilder mit: Eine Kindheit in bitterer Armut; viele Umzüge; Rausschmisse, weil die Eltern die Miete nicht bezahlen können. Die Mutter hält die Familie zusammen. Eine Freidenkerin, die die Fantasie ihrer Kinder mit Geschichten aus der Weltliteratur anfüttert und ihnen abends auf dem Klavier Beethoven, Schumann und Chopin vorspielt. Wenn mal Geld reinkommt, wird es sofort in gutes Essen investiert.

Leben auf der Überholspur

Isadora Duncan – das ist ein Leben auf der Überholspur. So viele Ideen, so viele Wünsche, so viele Visionen. So viele berühmte Bekanntschaften. "Mach mal langsamer!" möchte man ihr zurufen. Aber dann wäre das ja nicht mehr sie. Nur so wird sie zum Weltstar. Dennoch ist sie in ihrer totalen Absage an Vernunft und Pragmatismus anstrengend – für ihre Zeitgenossen und auch für uns, die Leserinnen und Leser. So viele Anekdoten für ein einziges Leben … aber hübsch zu lesen sind sie. Und sie nehmen uns ein für diese kompromisslose, selbstbestimmte Frau. Besonders, als sich der Ton in diesem Buch plötzlich ändert."Das Leben ist ein Traum, und das ist auch gut so, denn wie könnte man sonst einige seiner Erlebnisse überstehen?" Das scheibt Isadora Duncan, nachdem sie 1913 ihre beiden kleinen Kinder bei einem Verkehrsunfall in Paris verloren hat. Beklemmend liest sich dieser Teil mit Originalzitaten Duncans:

"Ich entsinne mich, dass mich zunächst eine auffallende Ruhe erfasste, nur meine Kehle brannte, als hätte ich glühende Kohlen verschluckt. Ich begriff einfach nichts … Alle um mich herum weinten – nur ich nicht. Im Gegenteil, ich hatte das ungeheure Bedürfnis, all die anderen zu trösten."

Tragik ohne Effekthascherei

Was danach kommt, die unsagbare Trauer, möchte man gar nicht lesen. Und tut es doch. Und ist dankbar für diesen Ton, den Michaela Karl anschlägt. Nüchtern, empathisch, ohne sentimentale Drücker, ohne Effekthascherei. Und man liest sich durch bis zum grotesken Ende dieses überreichen Lebens – im Cabrio, auf der Promenade des Anglais in Nizza. Ihr Lieblingsaccessoire, der lange rote Schal, den sie sich um den Hals geschlungen hat, verfängt sich während der Fahrt in den Speichen eines Hinterrads und bricht ihr das Genick.

Champagner wäre mir lieber. Blumen können sie schicken, wenn ich tot bin.

Infos zum Buch

Michaela Karl
"Lasst uns tanzen und Champagner trinken – trotz alledem!"
Isadora Duncan. Eine Biografie

btb Verlag, 2021
444 Seiten
24,- Euro

Sendung: "Leporello" am 6. Oktober 2021 ab 16:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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