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Buch - "Leonard Bernstein - Der Charismatiker" Ein Mann der Extreme

Von seinem ersten Auftritt als Einspringer für den erkrankten Bruno Walter 1943 in der Carnegie Hall bis zu seinem Mauerfall-Konzert in Berlin hat Leonard Bernstein eine überwältigende Wirkung entfaltet. Er hinterließ ein immens vielseitiges Werk, er dirigierte mit der Intensität und Suggestionskraft eines Magiers. 2018 feiert die Musikwelt Bernsteins 100. Geburtstag (25. August). Anlass für Sven Oliver Müller, Historiker an der Uni Tübingen, dem Charisma Bernsteins nachzugehen. Der Titel seines rechtzeitig zum Jubiläum erschienen Buches lautet schlicht "Leonard Bernstein - Der Charismatiker".

Bildquelle: Reclam-Verlag

Der Buchtipp zum Anhören

Wie schreibt man heute eine Biographie über Leonard Bernstein? Diese Frage stellt sich Sven Oliver Müller, gleich auf den ersten Seiten seines Buches über den genialen Musiker. Über ihn wurde genügend fachlich-seriös geschrieben, doch bot er mit seinem extrovertierten Lebensstil auch immer wieder der Boulevard-Presse Stoff. Er war ein Allrounder, der sich nicht kategorisieren lassen wollte. Er war ein Mann der Extreme.

Die Grenzen vom Brillanten und Großartigen hin zum Peinlichen und Grotesken waren fließend.
Sven Oliver Müller

Nicht chronologisch, sondern nach Themen gegliedert

Also entschied sich Autor Müller Bernsteins musikalisches und gesellschaftliches Wirken durch die Untersuchung seines Charismas aufzuzeigen. Jedoch nicht in chronologischer Abfolge, sondern nach Themen in 10 Kapitel gegliedert, unter Titeln wie "Der Dirigent, Das Repertoire, Der Komponist, Der Privatmann, Der Gefühlsmensch, Der Pädagoge, Der Politiker, Der Amerikaner". Das letzte Kapitel heißt "Tod und Verklärung". Müller versucht, auf seiner Spurensuche viele Aspekte oder Facetten dieser schillernden und durchaus umstrittenen Künstlerpersönlichkeit zu zeigen.

Expressiv, extrovertiert und gut vernetzt

Dirigent Leonard Bernstein | Bildquelle: picture-alliance/dpa Leonard Bernstein | Bildquelle: picture-alliance/dpa Bernstein war ein Multitalent, das Brücken schlagen konnte zwischen der Klassischen Musik und anderen Genres. Er komponierte mehr als 70 verschiedene Werke unterschiedlicher Gattungen. Von drei Symphonien und größeren Orchesterstücken über Opern und Chorwerke bis hin zum Musical. Sein Berühmtestes: die "West Side Story". Die Basis für Bernsteins große Wirkung in der Öffentlichkeit waren laut Müller seine Vernetzung und die Fähigkeit, expressiv und extrovertiert verschiedene Medienkanäle zu bespielen. Müller bewundert seine sympathische Aura und den umwerfenden Humor. Als Schwächen Bernsteins nennt er Selbstdarstellung und Eitelkeit, dass er Kettenraucher war und Scotch liebte. Er bildet mosaikartig den Menschen und Musiker ab, der nach außen hin zu den erfolgreichsten und publikumsnahen Künstlern seiner Generation gehörte.

Bernstein musizierte, als ginge es um Leben oder Tod
Sven Oliver Müller

Manchmal litt Bernstein auch an Depressionen

"Ob er als Dirigent scheiterte oder Erfolg hatte, das Publikum zu Tränen rührte oder den Journalisten Anlass zum Spott gab – Bernstein musizierte, als ginge es um Leben oder Tod", konstatiert Müller. "Seine Emotionen zeigte er unmittelbar ohne jede körperliche Distanz. Er grüßte jeden, umarmte jeden, mischte sich in jedes Gespräch ein und imitierte jedes Verhalten, das ihm gefiel. Bernstein verkörperte mithin den Idealtypus eines emotionalen Dirigenten." Der jedoch als Privatmensch unter einer lebenslangen Zerrissenheit und charakterlichen Wankelmütigkeit litt und manchmal Depressionen hatte. Und der mit seiner ausgelebten Bisexualität seine Familie auf eine extreme Bewährungsprobe stellte.

Trotz Enthusiasmus etwas schwer zu lesen

Leonard Bernstein - Komponist, Dirigent, Pianist | Bildquelle: picture-alliance/dpa Leonard Bernstein | Bildquelle: picture-alliance/dpa Ausgeprägtes Sendungsbewusstsein, pädagogisches Feingespür unermüdliche Experimentierfreude, der unbedingte Wunsch nach Anerkennung, nach größtmöglicher persönlicher Freiheit, ein ausgeprägter Geschäftssinn, aber auch der Wille etwas für die Ewigkeit zu schaffen, das sind nur einige der Eigenschaften, die Bernstein zum Erfolg geführt haben, so Müller. Sven Oliver Müller hat ungeheuer viel auf den 260 Seiten und einem detaillierten Anhang zusammengetragen. Er bleibt aber neutraler Dokumentar der verschiedenen Aspekte. Das Buch zeugt von großem Fleiß und Enthusiasmus, aber macht gelegentlich einen steifen, akademischen und überladenen Eindruck. Dazu trägt die gerade wegen ihrer Größe schwer zu lesende Schrift bei. Mehr Lebendigkeit hätten der verdienstvollen Biographie gutgetan.

Infos zum Buch

Sven Oliver Müller:
Leonard Bernstein - Der Charismatiker
302 Seiten, gebunden, 25 schwarz-weiße Fotos
Preis: 28,00 Euro
erschienen beim Reclam Verlag, Stuttgart

Sendung: "Allegro" am 30. Mai 2018, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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