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Buchtipp: "Die Kunst des Interpretierens" Schlagabtausch zwischen Alfred Brendel und Peter Gülke

Der Pianist Alfred Brendel und der Dirigent Peter Gülke sind Meister darin, Musik zu interpretieren. Genauso faszinierend ist es, wenn sie über Musik sprechen. Bei der Schubertiade trafen sich beide zum Gespräch – woraus ein lesenswertes Buch entstand. "Philosophisch-anspruchsvoller Lesegenuss", konstatiert BR-KLASSIK-Autor Robert Jungwirth.

Bildquelle: Bärenreiter/Metzler

Der Buchtipp zum Anhören

Was für die Medizin gilt, gilt auch für die Musik: Viel hilft nicht unbedingt viel. Es ist zwar gut, über Werke und Komponisten Bescheid zu wissen, wenn man Musik adäquat aufführen will. Aber die Interpretation wird nicht umso besser, je mehr Wissen man sich angelesen hat.

Musizieren mit Bauchgefühl

Alfred Brendel | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Pianist Alfred Brendel feiert am 5. Januar 2021 seinen 90. Geburtstag. | Bildquelle: picture-alliance/dpa "Beim Musizieren und in der Probenarbeit darf es sich nicht aufdrängen, man muss es vergessen können, untergründig mitarbeiten lassen, es muss vom Kopf in den Bauch gewandert sein", sagt Peter Gülke, der nicht nur Dirigent ist, sondern auch einer der belesensten Musikdenker, die es im deutschen Sprachraum gibt. Fast keine Erläuterung zu musikalischen Fragen kommt bei ihm ohne Bezüge zu Fichte, Herder oder Winckelmann aus.

Im Gespräch mit seinem Musikerkollegen, dem Pianisten Alfred Brendel, der ebenfalls überaus kenntnisreich über Musik sprechen und schreiben kann, umkreisen beide in ihrem gemeinsamen Buch verschiedene Aspekte der musikalischen Interpretation, vor allem bei Schubert und Beethoven. Das ist mitunter sehr detailliert, dennoch meist auch für den Leser ein Gewinn.

Kurz und bündig

Dieses Buch wird lieben, …
… wer anregenden Diskussionsstoff über Musik sucht.

Dieses Buch ist ein Lesegenuss, weil …
…die Gedanken und Erkenntnisse von Brendel und Gülke die Musik immer wieder in neuen Zusammenhängen erscheinen und "erklingen" lassen.

Dieses Buch liest man am besten …
… ausgeruht.

Philosophieren über Schubert und Beethoven

So konstatiert Brendel: "Ich selbst sehe, höre und denke Beethovens Hammerklaviersonate als umfassendes Musikwerk, nicht als halb Seelenmarter, halb Bravourstück, dessen Außensätze man mit zusammengebissenen Zähnen ins Publikum schleudert." Gülke arbeitet sich währenddessen am Unterschied zwischen Beethoven und Schubert ab: "Beethoven kann die Musik kommandieren, tut es oft und weiß doch genau, wo er's nicht darf. Schubert liefert oft sich der Musik aus, überlässt sich ihr, ist auf schwer bestimmbare Weise tiefer in ihr drin..."

Auch die Frage, inwieweit die Biographie der Komponisten zum Verständnis ihrer Werke beiträgt, wird ausführlich erläutert und diskutiert. Hier sind sich beide Musiker einig: Das musikalische Genie weist immer wieder über den Lebenskontext seines Trägers hinaus. Oft entstehen heitere Werke in dunklen Stunden oder umgekehrt.

Aus Gesprächen wurden Briefe

Peter Gülke | Bildquelle: Manu Theobald © EvS Musikstiftung Der Dirigent Peter Gülke erhielt 2014 den Ernst-von-Siemens Musikpreis. | Bildquelle: Manu Theobald © EvS Musikstiftung Leider war auch dieses Buchprojekt von der Corona-Pandemie beeinträchtigt, denn die für das Frühjahr geplanten weiteren Gespräche bei der Schubertiade konnten nicht mehr stattfinden. Stattdessen verlegten sich Brendel und Gülke aufs Briefeschreiben – was allerdings zu weitaus längeren und auch komplizierteren Texten ab etwa der Mitte des Buchs führte.

Wer Freude an geistvoll-anspruchsvoller Konversation über musikalische Phänomene im Praktischen wie Philosophischen hat, der wird das Buch trotz gelegentlicher Wiederholungen mit Genuss und Gewinn lesen.

Infos zum Buch

Alfred Brendel, Peter Gülke
"Die Kunst des Interpretierens"
Gespräche über Schubert und Beethoven

Bärenreiter Metzler Verlag 2020
193 Seiten, Hardcover
Preis: 30,00 Euro

Sendung: "Allegro" am 4. Januar 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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