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Buch - András Schiff "Musik kommt aus der Stille"

Wie kommt Lady Gaga ins Namensverzeichnis des Buchs von András Schiff, fragt man sich erstaunt - zwischen dem Komponisten György Kurtag und der Pianistin Wanda Landowska? Nein, als Fan der amerikanischen Popdiva outet sich András Schiff nicht. Das wäre dann doch eine handfeste Überraschung gewesen. Ganz im Gegenteil.

Bildquelle: Bärenreiter HENSCHEL

Der Buchtipp zum Anhören

In einem Kapitel mit der schönen Überschrift "Was zum Teufel ist mit dem deutschen Theater los" mokiert sich der Pianist über ein Berliner Theatererlebnis, bei dem in Dürrenmatts "Besuch der alten Dame" die Hauptdarstellerin Songs von Lady Gaga zu singen hatte. Schiff hält mit seiner Abneigung zu einer gewissen Sorte zeitgenössischer Sprechtheaterregie nicht hinterm Berg. Ja, András Schiff ist ein Purist und ein Traditionalist - nicht nur am Klavier. Das künstlerische Werk und die Vorgaben seines Schöpfers sind ihm heilig - gleich, ob als Musik oder als Literatur.

Werktreue als oberste Prämisse

"Beethoven ist der Erste, der auf revolutionäre Weise unglaubliche Pedalbezeichnungen vorgeschrieben hat, damit die Klänge zusammenwachsen. Er will bewusst Besonderes kundtun," sagt Schiff. "Doch das ist im orthodoxen Unterricht verpönt: Man soll doch bitte sehr vor jeder neuen Harmonie das Pedal wechseln. Beethoven aber schreibt absichtsvoll gegen solche Regeln, und ihm ist entsprechend stattzugeben." Der Künstler muss hinter dem Kunstwerk zurücktreten, das ist das Credo des Pianisten András Schiff. Deshalb hat Schiff als junger Musiker auch Pianisten wie Rudolf Serkin so verehrt, die die Werktreue als oberste Prämisse ihres Musizierens ansehen. "Wenn man den Musiker Serkin mit einem Wort charakterisieren möchte, würde ich 'Integrität' wählen", schreibt Schiff.

Fast alle Interpreten behaupten, sie seien treue Diener der Komponisten, aber die wenigsten werden dem gerecht, was sie predigen.
András Schiff

Bewunderung für die letzten Mohikaner

Andras Schiff | Bildquelle: picture-alliance/dpa Der Pianist András Schiff | Bildquelle: picture-alliance/dpa Sympathisch offen und voller Bewunderung für die Leistungen von Kollegen berichtet Schiff von Musikern und Pianisten, die für seine eigene musikalische Entwicklung wichtig waren. Neben Serkin waren das vor allem der Komponist György Kurtág, bei dem er in Budapest studierte, ebenso der Pianist George Malcolm oder der Geiger Sándor Végh, mit dem Schiff Beethovens Violinsonaten erarbeitete. Über Végh erzählt er, dass dieser vollkommen natürlich und schnörkellos spielte und dirigierte. Schiff bringt dies in Zusammenhang mit der Herkunft des Künstlers, denn Végh stammte aus Kolozsvár in Siebenbürgen, wo die Wurzeln volkstümlicher Kultur besonders tief und lebendig geblieben seien. In einer Zeit der Mittelmäßigkeit und des musikalischen Kommerzialismus ragte Sándor Végh als Ausnahmeerscheinung, als gigantische Persönlichkeit wie ein "letzter Mohikaner" heraus, so Schiff.

"Humor ist kein Spass"

In der Schilderung von Begegnungen mit herausragenden Musikerpersönlichkeiten besteht der vielleicht größte Reiz dieses Buchs, das neben dem Grundton Kulturpessimismus auch ein wenig heterogen geraten ist und Biografisches in Gesprächsform mit Ansichten und Einsichten zu verschiedenen musikalischen Themen in Aufsatzform zusammenpresst. In diesen erfährt der Leser - der am besten selbst Klavier spielen sollte - viel über klavierpraktische Dinge wie den "Missbrauch des Pedals", die Vorzüge des Hammerklaviers gegenüber dem modernen Flügel, über die Farben bei Bach oder - unter der Überschrift "Humor ist kein Spaß" - über den Humor in der Musik. So ist über Haydns Humor zu lesen, dass er nur in dem Umkreis von Liebhabern wirkte, die Erwartetes wie Unerwartetes, Konventionelles wie Überraschungen mit wachen Ohren sowie Note für Note aufnahmen. Das Publikum unserer Zeit sei zwar größer, aber dafür umso ahnungsloser. Der Boden für Haydns und Beethovens Scherze sei heute leider ziemlich ausgetrocknet, meint Schiff.

Infos zum Buch

Musik kommt aus der Stille
Gespräche mit Martin Meyer. Essays
von András Schiff
gebunden, 253 Seiten
Preis: € 24,95
erschienen im Henschel Verlag

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