Wie überzeugt man als Interpret? Wie sehr soll man sich den Emotionen überlassen? Wieviel Kontrolle muss sein? Darüber hat Vera Baur mit dem Sänger Christian Gerhaher gesprochen. Der Gesprächsband ist jetzt erschienen.
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Wer das Buch mit den Gesprächen zwischen Christian Gerhaher und Vera Baur in die Hand nimmt, bekommt keine Anekdoten-Plauderei zu lesen. "Halb Worte sind's, halb Melodie" ist keine leichte Kost, aber die Gedanken sind überaus lesenswert. Der Buchtitel nimmt Bezug auf den Liedinterpreten Gerhaher. Längst gilt er als der Nachfolger Fischer-Dieskaus. Und ausgerechnet der hatte ihm zu Beginn der Karriere geraten: Er soll doch lieber Arzt werden. Doch das erzählt Gerhaher eben nur nebenbei.
Denn schließlich geht es ihm um die großen Fragen: Wie interpretiert man richtig? Wie sehr überlässt man sich als Sänger den Emotionen, wie viel Kontrolle muss sein? Und Gerhaher gibt sich nicht mit einfachen Antworten zufrieden. Er zitiert gerne mal die ganze abendländische Kulturgeschichte von Diderot über Schopenhauer bis zu Woody Allen. Als Leser schwirrt einem da schon manchmal der Kopf. Doch dann kommen die Kapitel über Schumann oder Mahler. Und man staunt. Ganz selbstverständlich schüttelt Gerhaher da einen kleinen Werkführer nach dem anderen aus dem Ärmel. Etwa zu Schumanns "Faust-Szenen": kenntnisreich bis zum einzelnen Takt – und wunderbar subjektiv. Gerhaher spricht über seine große Begeisterung für dieses Werk: die dichte Instrumentation, der Farbreichtum und das Sujet an sich.
Die Figur des Faust ist für meinen Geschmack die interessanteste überhaupt in der Literatur, und sie ist paradigmatisch für die Problematik des verstehend kreativen Menschen und damit natürlich auch für den Künstler.
Ja, auch Christian Gerhaher ist so eine Faust-Figur. Jemand, der alles wissen will. Der ewig mit sich als Künstler hadert. Und der sich selbst an seinen eigenen Ansprüchen aufreibt. Was für ein anstrengendes Leben! Aber auch ein reiches. Ab und zu sei es das unnachahmliche Glück, das nur sehr wenige Menschen und wahrscheinlich fast nur Sänger nachvollziehen könnten. Die vorgestellte Idee lasse sich körperlich darstellen und sinnlich begreifen. Und dies komme immer wieder, auch wenn es nur ganz kurz sei. Manchmal gebe es ganze Abende, was dann schier "der Wahnsinn sei".
192 Seiten
ISBN: 978-3-89487-942-6
erschienen im Verlag Seemann Henschel
Preis: 22,95 Euro