Helmut Deutsch zählt zu den erfolgreichsten Liedbegleitern weltweit. Schon in seiner Studienzeit konzentrierte sich das Hauptinteresse des gebürtigen Wieners auf das Lied. Seine internationale Karriere als Liedbegleiter begann mit der Sopranistin Irmgard Seefried, wichtigster Sänger seiner jungen Jahre aber wurde Hermann Prey, dessen fester Partner er für zwölf Jahre in mehreren hundert Konzerten war. In weiterer Folge arbeitete er mit einem Großteil der bedeutendsten Liedsänger zusammen. Jetzt hat Deutsch die Erinnerungen an sein Musikerleben in Buchform veröffentlicht.
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Das waren Zeiten, als der Pianist am Ende eines Liederabends beim Applaus zwei Schritte hinter der Sängerin oder dem Sänger stand. Oder der Gesangstar dem Pianisten nach dem gemeinsamen Abgang von der Bühne sagte, dass er den nächsten Auftritt alleine machen werde, um sich den ungeteilten Applaus des Publikums abzuholen. So ist es Helmut Deutsch etwa bei Liederabenden mit Hermann Prey ergangen. Gut fand Deutsch das nicht, aber damals sei das durchaus üblich gewesen. "Prey war in allen Proben und Konzerten der Chef", erinnert sich der Pianist. "Besonders wenn es sich um oft gesungenes Repertoire handelte, gab es nur eine Interpretationsmöglichkeit, nämlich seine. Es war praktisch unmöglich, mit ihm über eine andere Auffassung, ein anderes Tempo zu diskutieren. 'Das ist nicht das Tempo', durfte ich oft hören. Und erst gegen Ende unserer Partnerschaft wagte ich manchmal zu entgegnen: 'Du meinst, es ist nicht dein Tempo!'"
Das klingt so dämlich; mach doch was draus!
Hermann Prey | Bildquelle: picture alliance / kpa Mit Auftritten an der Seite von Hermann Prey hat für den jungen Pianisten Helmut Deutsch Anfang der 1980er Jahre die Karriere als Liedbegleiter begonnen. Und Deutsch ist Prey nach wie vor dankbar dafür, dass der weltweit gefeierte Starsänger ihm, dem jungen Pianisten, diese Möglichkeit geboten hat. "Prey liebte klar gezeichnete Bässe und scharfe Akzente, helle obertonreiche Akkorde und durchsichtige Begleitfiguren, die auch eine bestimmte Aussage haben sollten", schreibt Deutsch. "Bei manch einem Lied mit diesen typischen Begleitmustern durfte ich öfter hören: 'Das klingt so dämlich; mach doch was draus!"
Seit dem Beginn von Helmut Deutschs Karriere hat sich auf dem Gebiet des Liedgesangs viel getan, und Klavierbegleiter sind schon lange nicht mehr nur musikalische Dienstleister im Schatten von Sängerinnen und Sängern, sondern gleichberechtigte Partner – mal mehr, mal weniger, wie Helmut Deutsch anschaulich anhand vieler musikalischer Partnerschaften beschreibt.
In den zurückliegenden fast 40 Jahren hat der Pianist zahllose Sängerinnen und Sänger am Klavier begleitet. Sein Talent, den Klavierpart ebenfalls zu einer sprechenden Erzählung zu gestalten und dabei feinfühlig auf die jeweilige Sängerpersönlichkeit einzugehen, machte ihn zu einem der besten und gefragtesten Vertreter seines Fachs. Und Deutsch war einer der ersten Pianisten, die ihr Können auch im Rahmen einer Professur für Liedbegleitung weitergeben konnten. "Ich studiere das Lied ganz ähnlich wie der Sänger ein, die Phrasierung richtet sich ja weitgehend nach dem Text", führt Deutsch dazu aus. "Die Lage der Singstimme ist aus Balancegründen stets zu beachten, man überlegt Atemstellen und macht sich Gedanken über mögliche Tempi."
Ich kenne keinen anderen Sänger, der so viel Freude daran hat, unendlich zart zu singen.
Jonas Kaufmann | Bildquelle: picture alliance / Angelika Warmuth/dpa In seinen Erinnerungen erzählt Deutsch sehr offen und anekdotenreich von den vielen Begegnungen mit Gesangsstars wie Brigitte Fassbaender, Barbara Bonney, Peter Schreier, Grace Bumbry, Thomas Quasthoff, Diana Damrau oder Jonas Kaufmann, den er als Dozent an der Münchner Musikhochschule sogar mehr oder minder für den Liedgesang entdeckt hat: "Die dynamischen Mittel, die Jonas zur Verfügung stehen, scheinen nahezu unbegrenzt zu sein, und er nutzt sie extrem aus. Ich kenne keinen anderen Sänger, der so viel Freude daran hat, unendlich zart zu singen. Bei Proben wird nicht sehr viel gesprochen, wir verstehen einander zumeist ohne Worte…"
Helmut Deutschs Buch ist ein anekdotenreicher, aber nicht geschwätziger, sondern immer sachlich fundierter Rückblick auf ein erfahrungsreiches Musikerleben. Es erzählt von nahezu allen Facetten des Liedgesangs, seinen besonderen Herausforderungen für Sänger wie für Pianisten und es ist eine Liebeserklärung an die vielen großen Liedkompositionen und Zyklen – und an viele Sängerinnen und Sänger.
Helmut Deutsch
Gesang auf Händen tragen
Mein Leben als Liedbegleiter
Mit einem Vorwort von Alfred Brendel
240 Seiten, gebunden
25 schwarzweiße und farbige Abbildungen
Henschel Verlag
Preis: 26,00 Euro
Sendung: "Allegro" am 26. März 2019 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK