Von A wie die Band "Acolletive" über B wie Barenboim bis Z wie Zionismus. Der jüdische Verlag im Suhrkamp-Verlag hat gemeinsam mit dem Leo Baeck Institut Jerusalem einen Almanach herausgebracht: ein Almanach, der sich ganz der jüdischen Welt der Musik widmet.
Bildquelle: Suhrkamp Verlag
Ein Almanach über das Jüdische in der Musik. Da sträuben sich einem doch erst mal die Nackenhaare. Unweigerlich schießt einem dieser Richard Wagner in den Kopf. Verachtung und Missgunst hat Wagner in seine düstere, antisemitische Schrift "Das Judenthum in der Musik" gepackt. Ein Pamphlet, das von den Nazis ideologisch ausgeweidet wurde. Ein Pamphlet, das bis heute mit verantwortlich ist für die Aversion gegen Wagners Musik in Israel.
Na´ama Sheffi gibt in dem Almanach einen historischen Abriss der Diskussion um die Person Wagner, die in Israel 2001 sogar vor Gericht verhandelt wurde, angeklagt von Überlebenden der Shoa. Das Ergebnis damals: kein Freispruch, was Wagners Antisemitismus angeht. Aber ein Freibrief für das Israel Philharmonic Orchestra, Wagners Musik aufführen zu dürfen. Offiziell verboten wurde der Komponist nämlich nie in Israel, geächtet ist er dort aber bis heute.
Der Dirigent Asher Fish versuchte noch 2012 vergeblich, einen Ort für die Tagung: "Herzl-Toscanini-Wagner" aufzutreiben: Als Tagungsort war ein Hörsaal in der Universität Tel Aviv vorgesehen, doch kaum hatte die Universitätsleitung erfahren, dass auch Auszüge aus Wagners Werk vorgetragen werden sollten, kündigte sie den Mietvertrag. Daraufhin wendeten die Organisatoren sich an das Hilton Hotel, um dort die Tagung abzuhalten, erhielten aber eine Absage.
Bildquelle: picture-alliance / akg-images Die Herausgeberin des Almanachs, Gisela Dachs, ist sich der in Wagners Pamphlet verwurzelten Abneigung gegen den Begriff des "typisch Jüdischen in der Musik" natürlich bewusst. Und selbstverständlich geht sie mit dem Almanach nicht auf Schmusekurs mit einer Rassenideologie. Sorgfältig sind die kurzen, mitunter auch kurzweiligen Texte unter ganz verschiedenen Aspekten zusammengestellt. Da gibt es den biblisch-religiösen Ansatz, sozusagen eine Reise an die Quelle der jüdischen Musikkultur.
Anhand des Pentateuch und der Psalmen wird die Frage nach dem ohrenbetäubenden Klangvolumen eines Schofar, also des Widderhornes, gestellt. Und es wird ergründet, welches Instrument der hochmusikalische König David gespielt hat: War es denn tatsächlich eine Harfe, die König David spielte? Die Antwort lautet: "vermutlich nein". Es gibt kaum archäologische Funde aus dem entsprechenden Zeitraum, die die Existenz von Harfen belegen. Dagegen war ein anderes Saiteninstrument, nämlich die Leier, in verschiedenen Ausführungen weit verbreitet.
Auch Gustav Mahler bekommt ein Kapitel. Irit Youngerman wägt das Jüdische bei Mahler gegen das Nichtjüdische ab. Dafür hat sie sich mit dem Geiger Bronislaw Huberman beschäftigt. Er war es, der Mahler zum Lieblingskomponisten des frisch gegründeten Palestine Orchestra gemacht hat. Youngerman analysiert die Rolle des von den Nazis verbotenen Mahler für das musikalische Selbstbewusstsein Palästinas. Am überraschendsten ist ihre Abhandlung, wenn sie über Mahlers Stil spricht - besser gesagt, den Stil in Zitaten beschreiben lässt, wie durch Max Brod. Er ist der Ansicht, Mahler schaut zwar deutsch aus, ist aber absolut un-deutsch. Als Beweis führt Brod Mahlers Benutzung von Marschrhythmen an: Sie seien dem Einfluss bestimmter chassidischer Lieder geschuldet. "Diese 'Märsche' sind also nichts Unheiliges, Banales, Militärisches, sie scheinen mir vielmehr sehr glücklich die feste, entschlossene, aufrechte Gangart einer gotterfüllten Seele zu symbolisieren", schreibt Brod.
Gelungen an dem Almanach ist neben einem fast schon obligatorischen Essay über Barenboim und das East-Western-Divan Orchestra, über die Kammermusik der Jeckes, dass auch der kreativen Gegenwart, also der Popkultur gelauscht wird. Der Suhrkamp-Autor Doron Rabinovici bricht eine Lanze für seine Neffen von der Band "Acollective". "Acollective" ist das Nebelhorn eines jungen Tel Aviv inmitten jenes Nahen Ostens voll Gewalt und Hass. "Acollective" ist der Klang einer Sehnsucht, befreit von den Verhärtungen der Ideologien und der Glaubenskämpfe zu leben. "Acollective" lässt uns aufhorchen und schärft unser Ohr für das eigene, das eigentliche Fühlen.
Höhepunkt des Almanach ist die mitunter kontroverse, durchweg originelle Diskussion von Mauricio Kagel und György Ligeti über das Jüdische in der Musik, die in dem Band zum ersten Mal gedruckt erscheint. Geführt haben sie die Komponisten am 3. November 1990 in Köln. Wie weit die beiden den Bogen spannen, überrascht und erfreut, weil sie einem köstliches Denkfutter vorsetzen. Mauricio Kagel behauptet beispielsweise: Die Tatsache, dass Bach ein Protestant und der Protestantismus ein Kulminationspunkt einer sehr langen Entwicklung der Kirchenmusik gewesen sei, habe die Juden beeinflusst - und damit die jüdische "Kirchenmusik". Das sei eine Tatsache, die natürlich für die Ostjuden indiskutabel gewesen sei, aber für die deutschen Juden eine riesige Rolle gespielt habe.
Viele Namen von Musikern und Komponisten purzeln einem beim Lesen des Almanach entgegen: Eyal Golan, Arik Einstein, The Painted Bird, Yitzhak Klepter, Acollective. Längst nicht alle diese Namen hat man parat. Spätestens dann ist klar: Das Jüdische in der Musik ist nichts Statisches, es fließt, es ist amorph. Und es hat nichts mit dem zu tun, was ein frustrierter, kleinkarierter Richard Wagner 1850 als "Das Judenthum in der Musik" in einem Aufsatz abhandelte.
Jüdischer Almanach Musik
Herausgegeben von Gisela Dachs
Erschienen im Jüdischen Verlag des Suhrkamp-Verlages
Broschur, 272 Seiten
Preis: 18,00 Euro.