Er war ein Wunderkind, arbeitete mit Art Blakey, Charles Lloyd und Miles Davis. Berühmt machten ihn seine Solo-Marathons auf dem Klavier. Im Mai wurde Keith Jarrett 70. Wolfgang Sandner hat ein Buch über ihn geschrieben.
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Einige Töne - und man ist gefesselt. Der Anfang eines berühmten Stücks. "The Köln Concert" von Keith Jarrett. Die meistverkaufte Klavier-Soloplatte überhaupt. Und auch die meistverkaufte Jazz-Soloplatte der Welt. Rund vier Millionen Käufer. Ein Stück, das manche Fans Hunderte Male gehört haben – und das Zuhörer über die Genres hinweg fasziniert. Nur einer: Der hasst es. Das ist: der Mann am Klavier. Keith Jarrett.
Jarrett, geboren am symbolbeladenen 8. Mai 1945, ist ein Kantiger. Ein Sperriger. Ein Genie. Was passieren kann, wenn man dieses Musikstück – das auf einem sehr schlechten Klavier gespielt wurde - im Gespräch mit Jarrett lobt, erlebte sein Biograph Wolfgang Sandner.
"Dass ich dieses Konzert als einen seiner großen Erfolge bezeichnete, löste sein ausgesprochenes Missfallen aus und brachte unseren Dialog zum Erliegen." (Wolfgang Sandner)
Den Dialog ja, aber nicht die Lust, sich mit diesem Musiker auseinanderzusetzen. Sandner, mehrfacher Buchautor und ehemaliger Kritiker der F.A.Z., hat eine wunderbar sensible Biographie über Jarrett geschrieben – die jetzt, kurz vor dem siebzigsten Geburtstag des Künstlers, erschienen ist.
Es ist die Geschichte, so Sandner, "des größten Klavierimprovisators unserer Tage". Eines Musikers, der aus Jazz, Folk, Gospel und Rock ebenso schöpft wie aus der klassischen Klaviermusiktradition vom Barock aufwärts. Und der die Kunst, Musik aus dem Moment heraus zu entwickeln, ins Extrem steigert. "Jarretts Konzerte", so schreibt Wolfgang Sandner, "sind Besuche in der Werkstatt oder im Kreißsaal, Operationen am offenen Herzen der Musik unter Aufsicht der Öffentlichkeit." Keith Jarrett hat sein Publikum oft schroff zurechtgewiesen, wenn es die Ruhe, die man zu solchen Operationen braucht, störte - eine "Oberlehrer-Attitüde", die auch dem Biographen nicht gefällt. Aber Wolfgang Sandner schafft es, die Welt dieses musikalischen Eremiten, dieses Verweigerers und "Neinsagers" zu erklären. Analytisch. Kritisch reflektierend – und sprachlich inspiriert.
Flüssig und spannend liest sich hier, bei allen feinen Denk-Widerhaken, die Sandner geschickt einbaut, der Werdegang des in Allentown, Pennsylvania, geborenen Wunderkinds und Nachkommen ost- und westeuropäischer Einwanderer. Eines Musikers, der schon mit Anfang zwanzig zu den Weltstars aufstieg. Der im Trio mit Bassist Gary Peacock und Schlagzeuger Jack DeJohnette die Evergreens wieder avantgardefähig machte. Der viele Instrumente vom Schlagzeug über die Gitarre bis zur Flöte spielt. Und der auch ein feinsinniger Interpret klassischer Musik ist.
All die Welten dieses Musikers blättert der Autor mit vielen genauen Detail-Beobachtungen auf – wobei den Lesern Sandners weiter Horizont als profunder Kenner der Musikgeschichte von Bach bis hin zu Jimi Hendrix zugutekommt. Sandners Text ordnet ein, erhellt – und überrascht. "Kunstwerke sind nie Regelwerke, immer Ausnahmen". Diese Ausnahmen – und einen ihrer größten musikalischen Vertreter – macht Wolfgang Sandner greifbar. Es wird ein Denk-, ein Nachhör- und nicht zuletzt ein Lesevergnügen daraus. Einige Sätze – und man ist gefesselt.
360 Seiten
erschienen bei Rowohlt BERLIN