Michail Jurowski - sein Großvater war Dirigent, der Vater Komponist, er selbst ist Dirigent und die beiden Söhne sind ebenfalls dem Beispiel des Vaters gefolgt und Dirigenten geworden. Jurowski gilt als einer der maßgeblichen Schostakowitsch Interpreten. Er übersiedelte 1989 von Moskau nach Berlin und hat dort nicht ganz ohne Hürden Fuß gefasst, seine jahrelangen Kontakte zur Komischen Oper haben ihm das Einleben erleichtert. Der Musikjournalist Michael Ernst hat Michail Jurowski getroffen und dessen Erinnerungen jetzt in einem Buch zusammengefasst.
Bildquelle: Henschel Verlag
Der erste Teil des Buches ist der stärkere, informativere, kuriosere. Das liegt natürlich daran, dass uns Jurowski hier einen exklusiven Einblick in das Künstlermilieu der Sowjet-Ära verschafft. Im Hause Jurowski gingen Komponisten, Maler, Bildhauer, Schriftsteller ein und aus. Es ist, als ob man ein Fernglas verkehrt herum hält und damit in eine längst Geschichte gewordene Epoche und dazu noch durch den eisernen Vorhang blickt. Es eröffnet sich ein Fenster in eine Zeit, die gar nicht so weit zurück liegt und doch, bedingt durch die politischen Veränderungen, so ungeheuerlich fremd wirkt: beherrscht von Gremien der KPdSU, Lichtjahre entfernt von künstlerischer Freiheit und antisemitisch. Was man Jurowski explizit spüren ließ.
Mit Mitte 40 startete Michail Jurowski einen Neuanfang in Berlin, gemeinsam mit Mutter, Schwiegermutter, Ehefrau und drei Kindern. Es macht Freude, zu lesen, wie stark die Familienbande zusammen gehalten hat - und immer noch, wenn auch in veränderter Konstellation, bis heute, zusammen hält. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten in der deutschen Provinz, trotz großer gesundheitlicher Probleme, die Jurowski überrollten, nachdem er sich endlich bei deutschen Spitzenorchestern durch unermüdlichen Arbeitseinsatz einen Platz am Pult erkämpft hatte. "Arbeiten wie eine Bohrmaschine", das ist ein Satz, den man in vielen Jurwoski Interviews findet.
"Am 24. November 1996 stand er am Pult der Deutschen Oper Berlin. Er dirigierte Boris Godunov. Gegen Ende des sogenannten Polen Aktes brach er zusammen. Etwa vier Minuten soll sein Herz stillgestanden haben. Zwei Kollegen aus dem Orchester retteten ihn, sowie 12 Elektroschocks. Das Publikum, das diese besondere Aufführung mitansehen konnte, war erleichtert."
Bereits zwei Monate später stand der durch diesen Vorfall zum Nichtraucher gewordene Michail Jurowski schon wieder am Pult. Kein leichtes Spiel - anfänglich begegneten viele Häuser ihm mit der Sorge, dass sich ein solcher Vorfall wiederholen könnte und luden ihn nicht mehr ein. Doch nach und nach öffnen sich ihm wieder die Türen. Zu seiner Herzensangelegenheit wurden vor allem die Schostakowitsch Tage in Gohrisch und seine 20 Jahre lang währende Freundschaft mit dem Sinfonieorchester Norköpping in Schweden.
Das Buch von Michael Ernst widmet sich detailorientiert den verschiedenen Wirkungsstätten des Dirigenten. Manchmal glaubt man sich inmitten lauter Programmzettel und Flugtickets - Pique Dame in London, Schostakowitsch in Malmö, Ballett im Bolshoi und wieder Pique dame an der Scala. Doch wenn dann persönliche Betrachtungen über die Stücke und Jurowskis musikalischen Interpretationsansätze eingebunden werden, ist man wieder versöhnt. Auf alle Fälle bewundert man den Elan, die Freude, die Festigkeit, mit der Jurowski sein nach wie vor bewegtes Leben meistert. Und für jedes Problem immer auf der Suche nach einer Lösung strebt, auch wenn es "nur" um Hüftzwicken geht.
"Das jüngste Erfolgsrezept gegen die Gebrechen heißt tibetische Gymnastik, ist zu Hause, ebenso wie unterwegs anzuwenden und sei wirklich hilfreich."
207 Seiten
24, 95 Euro
erschienen im Henschel Verlag