Die Oper lag auf der Insel ziemlich lange darnieder. Nach Henry Purcell gab es aus England kaum dauerhafte Beiträge in Sachen Musiktheater. Dann kam Benjamin Britten. Er hat die englische Oper in der Mitte des 20. Jahrhunderts wieder belebt. "Peter Grimes", "Billy Budd" oder "The Turn of the Screw" sind inzwischen auch bei uns regelmäßig zu erleben. Aber eine ausführliche Biografie lag hierzulande bislang nicht vor. Norbert Abels, Chefdramaturg der Oper Frankfurt/Main hat sie jetzt geschrieben.
Bildquelle: Boosey & Hawkes
Buchtipp
"Benjamin Britten" von Norbert Abels
Bach, Beethoven, Brahms. Die drei B’s der klassischen Musik. Barbara, Bobby und Beth nennt Edith Britten ihre Kinder. Nachzügler, Dreingabe ist der vierte im Bunde. Benjamin. Er soll, so die hochfliegenden Zukunftspläne für ihren Sohn, die drei B’s zum Komponisten-Quartett vervollständigen: Bach, Beethoven, Brahms, Britten.
Benjamin Britten, hierzulande meist auf der Opernbühne gespielt, schreibt nicht nur Opern, sondern ebenso Kammermusik, Geistliches wie das War Requiem, Cello-Werke für Mstislav Rostropowitsch, Kompositionen für Kinder, auch viele Lieder entstehen. Der Strom des Komponierens reißt, einmal in Gang gesetzt, Zeit seines Lebens nicht mehr ab. Mit fünf Jahren wendet sich Beni dem Komponieren zu. Lässt sich in der brutalen Schul- und Internatszeit nicht davon abbringen. Frank Bridge, einer der damals avanciertesten englischen Komponisten, wird bald sein Lehrer. Er hilft ihm, zur kompositorischen Klarheit, zur eigenen Stimme zukommen. Was der Autor Norbert Abels klug und nachvollziehbar beschreibt: "Er komponiert für einen bestimmten Musiker oder ein Ensemble mit ganz auf deren individuelle Spielweise abgestimmter Intention. Er schreibt den Instrumentalisten, später den Sängern die Musik geradezu auf den Leib, studiert genau deren Eigenarten, ahnt ihr noch ungenutztes Potential, treibt sie dazu an, noch das zu veräußerlichen, was tief verborgen in ihnen ruht."
Peter Pears und Benjamin Britten | Bildquelle: picture-alliance/dpa Peter Pears, Tenor, wird Lebenspartner von Benjamin Britten. Deren Beziehung macht das Paar in der bigotten englischen Gesellschaft zu Außenseitern. Greifbar wird das in der Britten-Biografie aus der Schilderung der sozialen und politischen Umstände, die Norbert Abels vor allem im ersten Teil des Buches empathisch, aber zugleich mit angemessener Distanz zum Komponisten beschreibt. Britten, aufgewachsen in engster Beziehung zur Mutter, sucht sich nach deren Tod seine "Familie". Findet sie in Freundschaften, in der Heimatverbundenheit mit Suffolk, durch die Gründung des Aldeburgh-Festivals. Auch das Werk Brittens ist von den Erfahrungen der Fremdheit, des Ausgestoßen-Sein, als Künstler und Homosexueller, durchdrungen: "Kaum ein Komponist vor ihm hat die dämonische Seite der Sexualität, ihr zerstörerisches Potential, die Ambiguität von Eros und Macht jemals so umfassend ausgeleuchtet wie Britten", sagt Norbert Abels. "Seine eigene Veranlagung, der von den gesellschaftlichen Normen und Tabus geprägte Umgang damit, vor allem aber auch die starke Mutterbindung werden dazu beigetragen haben, sein seismographisches Gespür für die Masken des Eros zu schärfen."
Das Buch ist nur vordergründig geteilt in Biografie und ausführliche, bereichernde Werkbetrachtungen. Der Autor zeigt die Verflochtenheit von Leben und Schaffen. Gespeist durch Tagebucheinträge oder Briefzitate, gesättigt aus Abels immenser Kenntnis der Werke kommt Benjamin Britten in seiner Vielfalt zum Vorschein: als Pazifist, und vor allem als Komponist, der existentielle Fragen in seinem Werk stellt und, statt Antworten zu geben, Ambivalenzen stehen lässt. Ein lesenswertes Buch, das zum Weiterdenken anregt.
Eine Biographie von Norbert Abels
gebunden, 332 Seiten
Preis: € 34.95
erschienen bei Boosey & Hawkes, Berlin 2017
Sendungsthema aus "Leporello" am 31. Mai 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK