"Für mich als Pianisten sind diese Stücke das frustrierendste, schwierigste, überwältigendste, transzendenteste, tückischste, zeitloseste Stück, das es gibt. Mit mir als Hörer stellen sie Dinge an, die sonst nur die stärksten Psychopharmaka zustande bringen." Der diese Sätze über Bachs "Goldberg-Variationen" schreibt, weiß wovon er spricht. Er kennt sich mit Musik ebenso aus wie mit Psychopharmaka. Und beide Themen sind Leitmotive in James Rhodes Biographie "Der Klang der Wut". Am 12. Oktober ist er in München zu Gast!
Bildquelle: Nagel & Kimche Verlag
Der Buchtipp zum Nachhören!
In seinem Buch erzählt der englische Pianist von seinen schweren psychischen Erkrankungen - Folgen des sexuellen Missbrauchs, den Rhodes als Kind durchleiden musste. Und er erzählt von der Musik, ohne die er womöglich heute nicht mehr am Leben wäre. "Es ist nun mal eine Tatsache, dass die Musik mir das Leben gerettet hat - und sicherlich zahllosen anderen Menschen auch", sagt Rhodes. "Sie leistet Gesellschaft, wo keine ist, schenkt Klarheit, wo Verwirrung herrscht, Trotz, wo Verzweiflung ist und reine, hochdosierte Energie, wenn man sich leer, gebrochen und erschöpft fühlt."
Im Alter von sieben Jahren begann das Martyrium von James Rhodes, als er vom Sportlehrer seiner Schule missbraucht wird - über Jahre. Die Andeutungen des Jungen nahm niemand ernst, so blieb nur das Erdulden. Doch die Psyche des Kindes, das Vertrauen in die Welt und das Vertrauen in sich selbst waren beschädigt und führten zu enormen psychischen Problemen.
Als Kind vergewaltigt zu werden, ist der Everest des Traumas. Letztlich ist der Grund für meine Wut die Erkenntnis, dass in diesem Leben nichts und niemand mir helfen kann, diesen Zustand vollständig zu überwinden.
Die Musik wird ein Rettungsanker, durch sie bekommt Rhodes wieder Hoffnung und Mut. Die Beschädigungen allerdings bleiben und treten im Erwachsenenalter erst so richtig zu Tage. Über viele Umwege und unglaubliche Zufälle gelingt es Rhodes als Pianist Karriere zu machen - und das nach etlichen Aufenthalten in offenen und geschlossenen psychatrischen Anstalten, aus denen er eigentlich nicht mehr herauszukommen dachte.
"An Evening with James Rhodes"
Eine musikalische Lesung mit Werken von Bach, Beethoven und Chopin
Mittwoch, 12. Oktober 2016
München, Carl-Orff-Saal im Gasteig, 20.00 Uhr
Die Lebensgeschichte von James Rhodes liest sich wie eine Höllentrip mit klassischer Musik-Untermalung. Das hört sich verrückt an, und das ist es auch, denn Rhodes spart nicht mit Drastik und nicht mit derber Direktheit in der Wahl seiner Worte. Doch wenn man über die ersten Rotzigkeiten des Buchs hinweggekommen ist, wird klar, dass diese weniger Show als vielmehr Ausdruck einer schonungslosen Ehrlichkeit und Offenheit sind. Rhodes ist mit seinem Leid und den Folgen daraus tatsächlich durch die Hölle gegangen, da hilft keine Kosmetik in der Wortwahl, um das aufzuhübschen. Es ist grausam, was diesem Menschen passiert ist und welche Folgen der Missbrauch hatte; Rhodes schildert das mit unverstellter Klarheit. Wem das zu brutal ist, der sollte zu leichterer Lektüre über die Verbindung von psychischen Problemen und klassischer Musik greifen. Für alle anderen bietet Rhodes Biographie einen verstörenden und bewegenden Einblick in Höhen und Tiefen der menschlichen Seele und das unglaubliche Wirkungspotenzial klassischer Musik. Das ist Rhodes' Buch nämlich auch: ein flammendes Plädoyer für die enorme Kraft der Musik auf die menschliche Psyche. "Klang der Wut" ist ohne Zweifel das verrückteste Buch über die Segnungen der klassischen Musik, das je geschrieben wurde.
gebunden, 314 Seiten
22,90 Euro
erschienen im Nagel & Kimche Verlag