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Buch - "Schuberts Winterreise" Ian Bostridge über die "Lieder von Liebe und Schmerz"

Der britische Tenor Ian Bostridge, der Schuberts "Winterreise" seit 30 Jahren auf der Bühne singt, hat ein Buch über den Liederzyklus geschrieben. Darin geht es aber nicht nur um das Werk selbst, sondern auch um den historischen Kontext und um musikalische Details.

Buchcover "Ian Bostridge. Schuberts Winterreise" | Bildquelle: C. H. Beck Verlag

Bildquelle: C. H. Beck Verlag

"Wiederholt schleppen sich Achtelnoten in gemessenem Tempo durch das ganze Lied, unablässig, zunächst verflochten mit einer entmutigend absteigenden Phrase, durchbrochen von stechenden Akzenten, die in Schuberts Manuskript Stiche des Schmerzes sind." (Zitat aus dem Buch)

Liebe und Schmerz sind die zentralen Themen in der „Winterreise“. Sie teilen sich dem Hörer sofort mit. Was aber steckt noch hinter den Noten verborgen? Was bedeuten Symbole wie der Lindenbaum, das Irrlicht, die Krähe? Kann der Hörer von heute die Zusammenhänge überhaupt verstehen? Ian Bostridge setzt in seinem neuen Buch genau hier an. Der britische Tenor versucht, Schuberts Lieder in ihren historischen Kontext einzuordnen. Dazu stellt er Querverbindungen her - zu anderen literarischen Werken, Gemälden der Zeit, philosophischen Abhandlungen und naturwissenschaftlichen Erläuterungen.

Diese Exkurse wirken zunächst befremdlich. Was hat Photosynthese mit den Eisblumen am Fenster zu tun? Will der Hörer nicht vielleicht lieber einfach nur mit dem Wanderer mitträumen und mitleiden? Und doch: Durch die Verbindung zu philosophischen Gedanken Arthur Schopenhauers, Texten von Thomas Mann und Goethe, sowie zur Evolutionstheorie von Charles Darwin stellt Bostridge ganz überraschend vermeintlich schlichte Dinge, wie beispielsweise die Eisblumen, in einen tieferen Zusammenhang.

"In einem Zyklus, in dem sich vieles um den Platz des Menschen in der Natur dreht, sind Eisblumen die unheimlichen Zeichen jener nicht greifbaren Grenze zwischen dem Lebendigen und dem Leblosen, sie sind Teil einer Besetzungsliste, auf der außerdem Krähen, fallende Blätter und Irrlichter stehen." (Zitat aus dem Buch)

Bostridge sorgt für Verknüpfungen auf metatextueller Ebene. Mit musikwissenschaftlichen Analysen hingegen hält er sich zurück. Ob Tonartenverhältnisse oder die Bedeutung von Dur und Moll im Zyklus – es gibt nichts, was der Schubert-Forschung hier Neues hinzugefügt werden könnte. Darum geht es Bostridge aber auch gar nicht. Den studierten Historiker interessiert vielmehr die versteckte politische Botschaft der "Winterreise", die sich beispielsweise in der Figur des Köhlers wiederspiegelt: Ein Hinweis auf die "Carbonari", einen wichtigen Geheimbund.

Ian Bostridge | Bildquelle: Ben Ealovega Sänger und Historiker: Der Engländer Ian Bostridge | Bildquelle: Ben Ealovega Gelegentlich neigt Bostridge jedoch dazu, abzuschweifen. Der durchschnittliche Kohleverbrauch in England zu Beginn des 19. Jahrhunderts inklusive Grafik dürfte in diesem Zusammenhang die wenigsten Leser interessieren. Umso erstaunlicher ist dafür die Genauigkeit, mit der der Brite den etymologischen Wurzeln der deutschen Wörter nachspürt und die "Winterreise" mit Schuberts Biografie verknüpft. So thematisiert er beispielsweise dessen Syphilis-Infektion ausführlich im Kapitel über das trostlose Lied "Der Wegweiser". Das Buch ist keine Werkeinführung für Einsteiger, aber für Kenner. Wer mit Schuberts "Winterreise" vertraut ist und mehr über die kulturellen, philosophischen und historischen Zusammenhänge erfahren will, für den ist das Buch ein Gewinn. Bostridge weitet darin den Blickwinkel und regt gleichzeitig zum Nachdenken an.

Ian Bostridge


"Schuberts Winterreise. Lieder von Liebe und Schmerz"

Aus dem Englischen von Annabel Zettel
Erschienen im C.H. Beck-Verlag
404 Seiten, gebundenes Hardcover

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