133 Jahre und einige dutzend Biographien nach Wagners Tod gibt es noch immer manches zu korrigierende Urteil über den Meister. Meint zumindest der Musiker und Wagnerforscher Ulrich Drüner.
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Der Buchtipp zum Nachhören!
"Die Auflösung des selbst gemachten und kunstvoll in Szene gesetzten Tarnschildes, des Mythos Wagner, ist dringend nötig, doch sie ist aus zwei Gründen bisher nicht unternommen worden", sagt Drüner. Und warum ist dies nicht geschehen? "Erstens, weil bis vor Kurzem die Forschungsmittel dazu noch allzu unvollständig waren und zweitens, weil eine 'Enthüllung' bisher nicht wirklich im Interesse des Kunstbetriebs lag."
Wie passt das Bild vom geradezu titanischen Musikgenie mit jahrelangen Schaffenskrisen zusammen? Was hat es mit dem Opfermythos auf sich, den Wagner selbst um sich im Zusammenhang mit seinen erfolglosen Paris-Aufenthalten kreiert hat? Ulrich Drüner spürt in seiner neuen, 800 Seiten starken Wagner-Biographie diesen und anderen noch immer offenen Fragen im Dunstkreis von Dichtung und Wahrheit um Leben und Werk des wohl einflussreichsten deutschen Komponisten des 19. Jahrhunderts nach. Und er kommt zu interessanten Einsichten.
Richard Wagner | Bildquelle: picture-alliance/dpa Geheimdokumente sind es zwar nicht, auf die Drüner gestoßen ist. Aber die neue Gesamtausgabe von Wagners Briefen, die noch immer erweitert wird, bietet Material für neue Erkenntnisse. Dabei kommt Drüner beispielsweise zu dem Ergebnis, dass Wagners Hang zum Geldausgeben und zur Selbststilisierung keineswegs nur einem übersteigerten Ego geschuldet war, sondern gewissermaßen Teil seiner Strategie zur Selbstvermarktung: "Ab 1840 begann Wagner zu begreifen, dass man als unbekannter und unbemittelter Komponist die Kunstwelt nicht erobern konnte, wenn man stets mit offenen Karten spielte. Bereits Paganini, Liszt, Berlioz, Chopin und schließlich auch Verdi umgaben sich mit Legenden, die im Erfolgsfalle zu einem Mythos zusammenwachsen sollten."
Zurecht verweist Drüner auf die zentrale Bedeutung des Antisemitismus für Wagner, der in der Wagnerforschung bis heute gerne kleingeredet wird. Gerade hier liefert der Autor wichtige Informationen, die ihn als objektiven Analytiker ausweisen. Drüners Biographie, die auch eine sehr kundige Werkbetrachtung bietet, überzeugt - obgleich sie sprachlich ein wenig uneinheitlich geraten ist - vor allem dadurch, dass sie ganz unideologisch auf den so streitbaren Geist Richard Wagner und sein Werk blickt.
Denn gerade Wagners Schöpfertum führe, so Drüner, dazu, dass Ideologie in der Kunst überwunden werden könne - auch wenn viele Kritiker dies nicht wahrhaben wollen. Diese nüchterne, abwägende Sichtweise wird Wagner letztlich gerechter als viele allzu leidenschaftliche Polarisierungen in die eine wie in die andere Richtung. Insofern bietet Drüners Wagner-Biographie trotz der beachtlichen Liste an Vorgängerwerken durchaus etwas Neues: Sie spannt eine Brücke über die Gräben, die die Debatten der Vergangenheit aufgerissen haben.
von Ulrich Drüner
gebunden, 832 Seiten
Preis: € 34,99
erschienen im Blessing Verlag