Hat jemand das schöne Verb "Singen" schon einmal zum Titel eines Buches auserkoren? Ulrike Roos von Rosen wählt es, um Gesang praxisbezogen aus allen möglichen Blickwinkeln zu beleuchten – den für die Oper typischen Gesang jedenfalls. Und es sind prominente Sängerinnen und Sänger, die von ihren Erfahrungen und Überzeugungen erzählen: Diana Damrau, Anja Harteros, Jonas Kaufmann und viele andere.
Bildquelle: Verlag Königshausen & Neumann
Der Buchtipp zum Anhören
"Die Stimme ist etwas sehr Persönliches, für das man eigentlich nichts kann, das heißt es ist kein eigenes Verdienst, sondern ein Geschenk." Ein Satz, den wohl alle Beteiligten unterschreiben könnten – zitiert wird hier Anja Harteros. Dass man auch als Star jederzeit selber genau hinhören muss, "wo sich die Stimme gerade befindet", um die richtige Partie auswählen zu können, je nach Reifeprozess – das meint Diana Damrau, eine Frau, deren Jugendträume vom tatsächlichen Karriereverlauf noch überboten wurden.
Christian Gerhaher | Bildquelle: © Felix Broede Das für Welterfolg nötige Selbstvertrauen hat selbst Jonas Kaufmann keineswegs in die Wiege gelegt bekommen, fiel es doch auch ihm anfangs schwer, an die eigene Hochbegabung zu glauben. Und Christian Gerhaher hat bis heute Versagensängste, die sich in gewissen Ritualen äußern: "Am Tag der Aufführung trägt er grundsätzlich einen alten Trenchcoat", heißt es in dem Buch. "Als er trotz Hitze einmal in Barcelona mit Mantel und Schal in ein Taxi stieg und den Fahrer auch noch bat, das Fenster zu schließen, wurde dieser regelrecht aggressiv. Er hat ihn fast zusammengeschlagen wegen dieser verrückten Wünsche! Natürlich ahnte er nicht, dass er da einen Sänger im Auto beförderte, dessen Feind zugige Fenster sind und Aufregung."
Das Buch ist ungewöhnlich geschmackvoll bebildert, thematisiert sogar Merkmale der Theaterfotografie. Einer auf Klarheit bedachten grafischen Konzeption zufolge wird das Auge des Lesers durch Sentenzen und Fragestellungen angezogen, die immer wieder von neuem Interesse wecken: Die über 200 Seiten muss man keineswegs in der gegebenen Reihenfolge lesen! Man kann individuell ein- und aussteigen, je nachdem, ob man gerade Wissensdurst zum Rollenstudium oder der Probenarbeit eines Sängers stillen will, zur Funktion einer Souffleuse oder eines Kostümbildners. Und sogar die Erkenntnisse eines Wissenschaftlers, eines Fachmanns auf dem Gebiet der Kognitiven Neuropsychologie werden beschrieben: "Für die Stimmproduktion sorgen bis zu 100 Muskeln. Und das Singen bietet ein sehr umfangreiches Trainingsprogramm für unser Gehirn in vielen unterschiedlichen Bereichen."
Singen bietet ein sehr umfangreiches Trainingsprogramm für unser Gehirn in vielen unterschiedlichen Bereichen.
Das Statement Boris Klebers von der Universität Tübingen ist eines von Hunderten, die hier dazu einladen, Menschen über die Schulter zu schauen, die ihr Berufsleben der Musik bzw. Oper widmen. Sie alle leisten ihren Beitrag dazu, dass der Betrieb fortbestehen und gedeihen kann. Und da Ulrike Roos von Rosen vor allem zwischen München und Salzburg unterwegs war, porträtiert sie zugleich auch eine der international interessantesten Kulturregionen – wo der Bühnengesang quasi in der Luft liegt.
Ulrike Roos von Rosen:
"Singen"
Diana Damrau, Anja Harteros, Jonas Kaufmann und viele andere geben Auskunft
224 Seiten, gebunden
Mit Beiträgen von Hanna Herfurtner, Rudolf Herfurtner und Tristan Braun
sowie Fotos von Wilfried Hösl und Illustrationen von Christopher Roos von Rosen
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg
Preis: 29,80 Euro
Sendung: "Allegro" am 16. Oktober 2018 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK