Ein guter Steinway, sagt Andras Schiff, sei herrlich, aber im Vergleich zu einem Hammerflügel wie ein plumper Elefant. Das ist gar nicht so unfreundlich gemeint, wie es klingt. Andras Schiff liebt Steinway-Flügel, aber er hasst die notorische Steinway-Monokultur. Muss es denn immer gleich klingen? Auf einem Bösendorfer wirkt Schubert viel wärmer und weicher. Und eine ganz neue Welt erschließt sich mit den historischen Klavieren, auf denen Schubert spielte, deren Klang er beim Komponieren im Ohr hatte.
Bildquelle: ECM
Das Album der Woche zum Anhören
Und diese Welt ist reich, voller Entdeckungen und ungewohnter Perspektiven. Allein die Pedale – fast schon wie die Register einer Orgel. Der 1820 in Wien gebaute Hammerflügel, auf dem Schiff spielt, hat nicht weniger als vier Pedale: Verschiebung, Fagott, Moderator und Dämpfung. Wenn man den Moderator drückt, schiebt sich ein Tuch zwischen Hammer und Saite, das den Klang geheimnisvoll abdunkelt und dämpft. Beim Fagott-Pedal schiebt sich ein Seidenpapier auf die Saiten und lässt sie ein wenig schnarren. Silbrig wie eine Harfe klingt die Verschiebung. Doch Schiff nutzt die Klangmöglichkeiten seines Hammerflügels nie als äußerliche Effekte. Auch ohne die Pedale, nur mit dem Anschlag kann er auf seinem Instrument regelrecht zaubern: Da gibt es gezupfte Bässe, scharfe und gehauchte Töne, gemeißelte und fließende Klänge – und wunderbar gesangliche Melodielinien.
Dieses Album wird lieben, wer…
… Schubert liebt.
Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil …
… Schiff dem Hammerflügel unendlich viele musikalisch stimmige Nuancen entlockt.
Dieses Album hört man am besten bei …
… jeder Gelegenheit.
Der Zauber liegt in der Intimität. Klar, mit so einem zarten Instrument kann man nicht in der Philharmonie im Münchner Gasteig auftreten. Das würde Schiff auch nie tun. Aber in kleineren Sälen oder eben im Studio ist der Reichtum dieser intimen Klangwelt unwiderstehlich. Was natürlich letztlich nicht am Instrument liegt, sondern an dem, der es spielt. In der Klassik werden ja generell oft die Instrumente fetischisiert. Aber weder die Stradivari, noch der Steinway oder das Hammerklavier machen die Musik. Die entspringt immer der Phantasie, der Klugheit und der Gefühlswelt des Interpreten.
András Schiff ist ein großer Interpret. Und seit Brendel nicht mehr auftritt, ist er für mich persönlich bei Schubert der Größte. Das Wunder an dieser CD sind dabei nicht allein Schiffs unglaubliche Klang-Phantasie, die Fülle an Details und die unendlichen Nuancen im Anschlag – das eigentliche Wunder ist die Natürlichkeit, mit der sich das alles zusammenfügt. Denn Schuberts so unmittelbar berührende Musik kann durch zu viel Getue sehr leicht an Zauber verlieren. Letztlich muss diese Musik einfach atmen, tanzen, erzählen und singen. Und das tut sie bei András Schiff, mit einer Intensität, die einem stellenweise den Atem verschlägt. Manchmal summt und schlendert die Musik ganz beiläufig, manchmal verdichtet sie sich zu fast bizarren dramatischen Szenen, etwa im langsamen Satz der A-Dur-Sonate.
Schiff folgt Schubert mit all seiner Phantasie, durchdacht und spontan zugleich – und stellt sich doch nie dem natürlichen Fluss der Musik in den Weg. Und so ist das Instrument, egal ob Steinway oder Hammerflügel, genau das, was sein Name bedeutet: Mittel zum Zweck. Egal, ob man Schubert liebt und neu erleben möchte oder seine Musik erst entdecken will: Diese wunderbare CD trifft mitten ins Herz.
Franz Schubert:
Klaviersonate c-Moll, D 958
Klaviersonate A-Dur D 959
Impromptus D 899
Klavierstücke D 959
András Schiff (Hammerklavier)
Label: ECM
Sendung: "Piazza" am 20. April 2019, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK