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Album der Woche – Anna Gourari "Elusive Affinity"

Dass Anna Gourari eine Meisterin des musikalischen Zeitsprungs ist, das hat sie schon einmal bewiesen: mit "Canto Oscuro" – eine Einspielung, in der sie barocke mit zeitgenössischen Nachtstücken gekreuzt hat. Mit "Elusive Affinity" legt sie nun ein Album vor, das ähnlich aufgebaut ist. Musik Johann Sebastian Bachs umrahmt hier Werke noch lebender Komponisten wie Wolfang Rihm oder Giya Kancheli. Und es gelingt der Pianistin hervorragend, die "flüchtigen Ähnlichkeiten" zwischen diesen Komponisten hörbar zu machen.

Bildquelle: ECM

Das Album der Woche zum Anhören

Bach macht den Anfang. Ganz beiläufig, vertraut – als wäre man schon eine Weile im Gespräch mit ihm. Und mit ihr, mit Anna Gourari. Die ihn sprechen lässt. Straight und gelassen. Nur zwischen den Zeilen, da schimmert es melancholisch. Und dann … beamt sie uns weg. Weg an einen Ort, an dem der Zusammenklang seine Selbstverständlichkeit verloren hat. Wo die Töne einsam durch den Raum driften. Schwerelos, irrlichternd, ohne Gravitationszentrum.

Ähnlichkeiten zwischen alt und neu

Besser gesagt, fast ohne. Denn das neuste Album von Anna Gourari funktioniert wie ein Bumerang. Es startet mit Bach, katapultiert uns dann ein paar hundert Jahre in die Zukunft – sprich in unsere musikalische Gegenwart, zu Schnittke, Kancheli, Shchedrin, Pärt und Rihm – und landet am Ende wieder bei Bach. Kaum möglich, da beim Hören nicht zu vergleichen, nach Ähnlichkeiten zwischen dem Alten und Neuen zu suchen, nach jenen "Elusive Affinities", von denen auch der Albumtitel spricht.

Kurz und bündig

Dieses Album hört man am besten ...
… nicht nebenbei.

Dieses Album lädt ein zum ...
… Zitateraten.

Dieses Album führt bei Überdosis zu ...
… Zeitlupenwahrnehmung.

Dissonante Geisterschatten

Diese "Affinities" – Ähnlichkeiten – sind mal mehr und mal weniger deutlich. Selten aber so offensichtlich wie in Wolfgang Rihms "Zwiesprache". Plötzlich, und nur für wenige Sekunden, nimmt da ein Bach-Choral Gestalt an, mit brüchiger Stimme und dissonantem Geisterschatten. Ein Gruß aus der Gruft. Wie von ganz weit weg.

Geist eines Weihnachtslieds

Man kann sich einen Spaß daraus machen, das Album nach solchen Querverbindungen, nach Zitaten oder Anklängen zu durchforsten. Immer wieder stößt das Ohr auf Klangmuster, die Assoziationen oder Erinnerungen wachrufen. An das, was man gerade gehört hat. Oder vor einer Weile. Manchmal vor einer ziemlichen Weile. Also, zuletzt eigentlich im Dezember, denn: Versteckt sich hinter der unschlüssig mäandernden Melodie von Rihms "Alfred Schlee in memoriam" nicht ein Weihnachtslied?

Gläsern, sphärisch, zerbrechlich

Dieses Album durchhören, das ist ein bisschen so wie Wolken beobachten. Welche Figuren man in ihnen entdeckt, das ist zwar subjektiv – aber deshalb nicht willkürlich. Auch assoziative Verbindungen knüpfen ja irgendwo an. Hier nicht nur an melodischen Fragmenten, sondern vor allem an einem ganz bestimmten Klangbild, das Anna Gourari in ihrer Einspielung durchhält. Gläsern, sphärisch, zerbrechlich. Dazu kommt eine fast meditative Spielhaltung. Da wird der Moment gedehnt, so dass die Töne einzelnen aufleuchten. Und als Hörer bekommt man Zeit, viel Zeit, ihnen beim Verglimmen zuzusehen.

Anna Gourari – "Elusive Affinity"

Johann Sebastian Bach:
Largo aus dem Konzert Nr. 4 in g-Moll, BWV 975
Adagio aus dem Konzert Nr. 3 in d-Moll, BWV 974
Alfred Schnittke:
"Five Aphorisms"
Giya Kancheli:
Piano Pieces Nr. 15 und 23
Rodion Shchedrin:
"Diary – Seven pieces"
Arvo Pärt:
"Variationen zur Gesundung von Arinuschka"
Wolfgang Rihm:
"Zwiesprache"

Anna Gourari (Klavier)
Label: ECM

Sendung: "Piazza" am 08. Juni 2019, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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