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Album der Woche – John Eliot Gardiner dirigiert Bachs "Johannes-Passion"

Er hat es wieder getan, zum dritten Mal schon: Nach 1986 und 2003 hat John Eliot Gardiner nun erneut eine Gesamtaufnahme von Bachs Johannes-Passion vorgelegt – auch diesmal wieder mit seinem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists. Ursprünglich hätte es nur ein Livestream werden sollen, eines von so vielen Geisterkonzerten während der Corona-Zeit. Aber das Ergebnis hat die Deutsche Grammophon offenbar so überzeugt, dass sie nun den Mitschnitt auf CD und den Film auf Blu-ray herausgebracht hat. Ein gelungener Start in die Passionszeit.

Bildquelle: Deutsche Grammophon

Album der Woche – John Eliot Gardiner

Bachs "Johannes-Passion"

Es gibt kein Entrinnen. Unaufhaltsam nimmt das unheilvolle Geschehen seinen Lauf, von den ersten Takten an: das Rotieren und Heranrollen der Streicher, das Stampfen und Pochen der Bässe, das Klagen und Weinen der Oboen. Drängend, bedrängend. Eigentlich war die Originalklangbewegung einmal angetreten, um die Vergangenheit zu rekonstruieren. Aber John Eliot Gardiners dritte Aufnahme der Johannes-Passion erzählt mit beklemmender Intensität von unserer Gegenwart. Von manipulierten Massen, die zum entfesselten Mob mutieren. Und von der Menschlichkeit, die unter die Räder gerät.

Kurz und bündig

Dieses Album lohnt sich, weil ...
... es ein dreihundert Jahre altes Werk packend in die Gegenwart holt.

Dieses Album lädt ein, ...
... sich in der Vorosterzeit einmal in Ruhe auf die bibli-sche Passionsgeschichte einzulassen.

Dieses Album hört man ...
... am besten mit Lautsprechern und Bildschirm, damit sich Bachs Passion dank Blu-ray in fesselndes Theater verwandelt.

Erstaunliches Klangbild

Als Gardiner diese Live-Aufnahme am Karfreitag 2021 dirigierte, saß ihm der Schreck noch in den Gliedern über den Sturm aufs Kapitol in Washington wenige Monate zuvor. Aber auch die Corona-Krise holte die Aufführung unerbittlich ins Jetzt. Keine dichtgedrängte Kirche wie einst bei der Uraufführung 1724 in Leipzig, sondern gähnende Leere im Sheldonian Theatre in Oxford. Kein Publikum - und weite Abstände zwischen den Musikern. Gardiner machte aus der Not eine Tugend, verteilte den Chor auf die Ränge und die Solisten auf die Emporen. Das Ergebnis: ein extrem breitgefächertes, selbst in den stürmischsten Chören noch transparentes Klangbild. Und: Der Konzertsaal wird zur Bühne, Bachs Passion verwandelt sich in fesselndes Musiktheater.

Nick Pritchard überzeugt als Evangelist

Daran hat er großen Anteil: Nick Pritchard ist ein Evangelist, der nicht einfach nur trocken Bericht erstattet, sondern die Geschichte zum Leben erweckt, mitfiebert, mitzürnt, mitleidet. Gardiner setzt auf relativ junge Sänger: Der feinfühlige Countertenor Alexander Chance zum Beispiel ist der Sohn von Michael Chance, der schon in Gardiners erster Johannes-Passion von 1985 mitwirkte.

Blasser bleibt William Thomas als zwar voluminöser, aber wenig markanter Jesus. Ihn übertrumpft Alex Ashworth in der Rolle des Pilatus auch optisch: von der Kanzel schaut er auf den Angeklagten hinab, zweifelt, hadert und stellt dann die zentrale Frage:

Was ist Wahrheit?

Die Generalpause, die Gardiner dieser Passage folgen lässt, steht nicht in der Partitur, aber sie sagt mehr als tausend Worte. So wie hier setzt der Dirigent mit der Souveränität eines Altmeisters kleine, aber wirkungsvolle Ausrufezeichen: hier ein heranflutendes Orchestercrescendo, dort eine plötzliches Pianissimo in der zweiten Choralstrophe. Solche Details machen die Aufnahme ungeheuer suggestiv. Mag sein, dass die Johannespassion 1724 in Leipzig anders geklungen hat. Aber wer wissen will, warum dieses Werk auch nach 300 Jahren noch Menschen berührt, ist bei John Eliot Gardiner bestens aufgehoben.

Infos zur CD

Johann Sebastian Bach:
Johannes-Passion
Monteverdi Choir
English Baroque Soloists
Leitung: Johne Eliot Gardiner

Label: Deutsche Grammophon (2 CDs + Blu-ray)

Sendung: "Piazza" am 6. März 2022 um 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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