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Album der Woche – Yo-Yo Ma spielt Beethoven Die fünf Cellosonaten

Musikalischen Wunderkindern steht die Welt offen. Doch oft zahlen sie einen hohen Preis. Nicht nur, wenn sich später das Gefühl einstellt, sie hätten ihre Jugend verpasst. Sondern auch, weil die hochfliegenden Erwartungen unter Druck setzen. Als junge Erwachsene müssen sie sich messen lassen am Wunder-Appeal des Kindes, das sie waren. Da sehen oft mittlere Erfolge schon wie eine Enttäuschung aus. Umso schöner, wenn das eigentliche Wunder folgt: Wenn aus Wunderkindern große Künstler werden. Der Cellist Yo-Yo Ma ist so ein Fall.

Bildquelle: Sony Classical

Die CD-Empfehlung anhören

Was für eine Karriere: 1955 wird Yo-Yo Ma in Paris geboren als Sohn von Musikern aus Hongkong. Mit vier bekommt er ein Cello. Als er sieben ist, ziehen die Eltern nach New York. Sofort wird der kleine Yo Yo eingeladen, vor Präsident Kennedy im Weißen Haus Cello zu spielen. Mit acht tritt er mit Leonard Bernstein im US-Fernsehen auf. Doch das eigentliche Wunder passiert heute, zum Beispiel mit diesem großartigen Beethoven-Album. Heute, mit Mitte sechzig, wo die Verblüffung über den süßen Cello-Jungen bei den Kennedys längst eine historische Erinnerung ist, löst Yo-Yo Ma das Versprechen, das er damals gab, erst wirklich ein.

Voller Neugier und Entdeckungsdrang

Keine Frage, Yo-Yo Ma hat eine Weltkarriere gemacht. Mitte der Achtziger Jahre, damals war er noch keine dreißig, hat er die Cello-Sonaten von Beethoven schon einmal aufgenommen – mit dem gleichen Pianisten: Emanuel Ax. Die frühe Aufnahme ist schön, auch das keine Frage. Aber wie brav klingt sie im Vergleich! Warm und satt im Ton, aber auch behäbig und ziemlich saturiert spielte der junge Yo-Yo Ma. Wach und aufregend, voller Neugier und Entdeckungsdrang ist die Aufnahme, die er jetzt, 40 Jahre später, vorlegt.

Kurz und bündig

Dieses Album lohnt sich, weil …
… es zeigt, dass manche Künstler mit zunehmender Erfahrung immer jünger werden.

Dieses Album hat gefehlt, obwohl …
… die beiden Künstler genau das gleiche Repertoire schon einmal eingespielt haben!

Dieses Album zeigt, dass …
… sich bei Wunderkindern das eigentliche Wunder erst im Alter zeigt.

Die Farben eines Cellos

Wo er früher die Melodielinien breit ausspann, alle Töne gleichmäßig schön aufgefädelt auf lange Legato-Linien, da setzt er heute Zäsuren, gliedert, atmet. Der Ton muss nicht immer satt und rund klingen, er kann auch mal spröde werden, um dann wieder aufzublühen. Der Bogen muss nicht immer geräuschlos über die Saiten gleiten, er kann, wie beim deutlichen Sprechen, die Töne mit einer kleinen Attacke beginnen lassen, als wären es Wörter, die mit einem scharfen Konsonanten beginnen. Und die Farben, die in einem Cello stecken! Wenn man nicht immer vibriert, wirkt das Vibrato viel stärker. Und nach fahlen Tönen blüht der Klang viel wirkungsvoller auf.

Älter und gleichzeitig jünger

Technisch spielt der gealterte Yo-Yo Ma auf dem gleichen unanfechtbaren Niveau wie der junge. Musikalisch ist er im Lauf der Jahre paradoxerweise viel jugendlicher geworden: einer, der nicht voraussetzt, dass zu Beethoven schon alles gesagt ist, sondern Fragen stellt, sich in Frage stellen lässt – etwa von der Experimentierlust der frühen Sonaten op. 5 oder den Verrücktheiten der späten Sonaten op. 102. Sein kongenialer Pianist Emanuel Ax lässt sich hörbar anstecken von Yo-Yo Mas Freude an den sprechenden Details. Musikalische Hochbegabungen, also die sogenannten Wunderkinder, sind dann doch gar nicht so selten. Das eigentliche Wunder ist, wenn aus ihnen Künstler werden, die mit zunehmender Erfahrung immer jünger zu werden scheinen. Ein Album, das große Freude macht.

Infos zur CD

Ludwig van Beethoven:
Sonaten Nr. 1-5 für Klavier und Violoncello
Variationen für Klavier und Violoncello op. 66, WoO 45, 46

Yo-Yo Ma (Violoncello)
Emanuel Ax (Klavier)

Label: Sony Classical

Sendung: "Piazza" am 3. Juli 2021 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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