Wikipedia führt ihn als spanischen Musikwissenschaftler und Gambisten, ist damit allerdings nicht ganz auf dem aktuellen Stand: Seit längerem gehört Jordi Savall in der Szene der Alten Musik oder der historisch informierten Aufführungspraxis auch zu den wichtigen Dirigenten. Mit seinem Orchester, das den schönen Namen "Le Concert des Nations“ trägt, hat er zahlreiche Aufnahmen veröffentlicht, ist allerdings erst vor kurzem ins 19. Jahrhundert vorgestoßen, zumindest ins frühe. Die Symphonien Ludwig van Beethovens hat Savall sich vorgenommen, seit wenigen Wochen liegen sie komplett vor.
Bildquelle: Alia Vox
Der CD-Tipp zum Anhören
Brauchen wir die gefühlt zweihundertste Gesamtaufnahme der Symphonien Ludwig van Beethovens? Wenn sie so klingen wie jetzt bei Jordi Savall und seinem fantastischen Originalklang-Orchester Le Concert des Nations, dann brauchen wir sie unbedingt. Letzten Sommer ist Savall, dieser große Künstler und Mensch, achtzig Jahre alt geworden. Sein Beethoven aber könnte frischer und jugendlicher nicht klingen. Unglaublich pointiert und geschärft kommen die Symphonien daher, mal tänzerisch und federnd, mal mit dramatischer Wucht, hell und wunderbar trennscharf im Klang, rhythmisch klar grundiert von den trockenen, immer wieder ungestümen, doch nie aufdringlichen Paukenschlägen des großartigen Riccardi Balbinutti.
Jordi Savall hat als Gambist wie als Leiter seiner Ensembles Hesperion XXI, Le Concert de Nations und La Capella Real de Catalunya unendlich viel Musik vieler Jahrhunderte entdeckt, Werke der Renaissance und des französischen Barock, Musik der sephardischen Juden, des arabischen Kulturraums, zentrale Werke von Bach, Händel und Mozart. In seinem eigenen Label AliaVox veröffentlicht er liebevoll und unendlich aufwändig gestaltete Editionen, oft eher Bücher als CDs. In ihnen erzählt Savall Geschichten von fernen Ländern und Zeiten, über Karl V. oder die Eroberung Konstantinopels, über Don Quichote oder Jeanne d’Arc, über Christoph Columbus oder die Sklaverei. Vielleicht gibt es keinen zweiten Musiker, der sich mit ähnlicher Neugier, wissenschaftlicher Akribie und beeindruckender Empathie in die Musik der unterschiedlichsten Kontinente und Völker vergräbt. Wenn der Begriff Weltmusiker irgendeinen Sinn ergibt, dann trifft er auf Jordi Savall zu. Auch deshalb ist Beethoven bei ihm in den besten Händen.
Diese Box muss man haben, weil …
… man der Symphonien Beethovens niemals überdrüssig wird – dann jedenfalls, wenn sie so gespielt werden.
Diese Box lohnt sich, weil …
… sie Musik, die zum Besten gehört, was je komponiert wurde, in exemplarischen Interpretationen bietet.
Diese Box ist ein Hörgenuss, weil …
… sie Spannung, Lebenslust, Schönheit, Gedankentiefe und vieles mehr umfasst – eigentlich alles, was das Leben bereichert.
So farbig und schön, so sprechend und konzeptionell überzeugend, gleichzeitig so entspannt und selbstverständlich waren die Beethoven-Symphonien lange nicht zu hören. Nach den ersten fünf im vergangenen Jahr ist nun die zweite Hälfte erschienen. Nichts wirkt da übertrieben oder gewollt, nie erhebt Savall den Zeigefinger, weil er meint, die Hörenden auf ein besonderes Detail hinweisen zu müssen. Braucht er auch nicht. Zu entdecken gibt es in seinen Deutungen ohnehin genug, etwa in der seidig glänzenden, von einem bedrohlich krachenden Gewitter durchgeschüttelten Pastorale.
Oder im Finalsatz der Siebten, in der Savall sein grandioses Orchester in einen wahren Rausch steigert. Was charakteristisch ist für diese insgesamt ebenso hin- wie mitreißende neue Gesamtaufnahme der Symphonien Ludwig van Beethovens. Ein Fest!
Ludwig van Beethoven:
Symphonie Nr. 6 F-Dur op. 68 "Pastorale"
Symphonie Nr. 7 A-Dur, op. 92
Symphonie Nr. 8 F-Dur, op. 93
Symphonie Nr. 9 d-Moll, op. 125
Sara Gouzy (Sopran)
Laila Salome Fischer (Mezzosopran)
Mingjie Lei (Tenor)
Manuel Walser (Bariton)
La Capella Reial de Catalunya
Le Concert des Nations
Leitung: Jordi Savall
Label: AliaVox
Sendung: "Piazza" am 26. Februar 2022 um 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK
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