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Album der Woche – Paavo Järvi dirigiert Symphonien von Franz Schmidt

Startups und PR-Beraterinnen wissen es schon lange: Zu einer guten Marke gehört ein griffiger Name. Mozart, Beethoven, Debussy – alles einprägsam, kaum zu verwechseln, hätte sich keine Werbeagentur besser ausdenken können. Insofern ist es wohl ein ziemlicher Nachteil auf dem Komponistenmarkt, als Franz Schmidt geboren zu werden. Der Name "Paavo Järvi" ist da deutlicher einprägsamer – ein Glück also schon aus Marketingsicht, dass sich Dirigent Järvi den Komponisten Franz Schmidt vorgenommen hat.

Bildquelle: DG

Die CD-Empfehlung zum Anhören

Alle vier Schmidt-Symphonien plus das zumindest etwas bekanntere Intermezzo aus Schmidts Oper "Notre Dame" hat Järvi mit dem hr-Sinfonieorchester eingespielt. Er tritt so in die Fußstapfen seines Vaters Neeme Järvi, der schon vor gut 20 Jahren eine Schmidt-Gesamteinspielung vorgelegt hat.

Wie eine eine leuchtende Neonreklame

An Schmidts Popularität hat das wenig geändert. Noch immer sagt seine Musik höchstens Kennern etwas.  Eine weitere Einspielung kann sie daher gut vertragen. Besonders, wenn sie so gelungen ist wie die vom hr-Sinfonieorchester und seinem ehemaligen Chef Paavo Järvi: Gleich der erste Satz von Schmidts 1. Sinfonie ist mitreißend, erhebend, eine große leuchtende Neonreklame für diese CD-Box. Die Musik des 1874 geborenen Franz Schmidt ist spätromantisch, monumental, melodiös, manchmal mit folkloristischen Anklängen. Ein bisschen Brahms und Bruckner lassen sich da heraushören, auch Gustav Mahler, Schmidts Musik bleibt aber im Vergleich deutlich konservativer, klingt sogar manchmal ein bisschen wie Filmmusik.

Kurz und bündig

Dieses Album wird lieben, wer …
... Mahler manchmal zu anstrengend findet.

Dieses Album muss man haben, weil …
... man sich nach dem Hören fragt, warum Franz Schmidt bisher nicht im CD-Regal stand.

Dieses Album führt bei Überdosis zu …
... dem dringenden Bedürfnis, ein Blechblasinstrument zu lernen und im Fortissimo zu spielen.

Unter Gustav Mahler war Schmidt lange Cellist im Orchester der Wiener Hofoper, außerdem spielte er bei den Wiener Philharmonikern, und auch als Komponist wurde Schmidt zu Lebzeiten geschätzt. Allerdings auch von den Nazis, die den Komponisten nach dem "Anschluss" Österreichs für sich vereinnahmen wollten. Schmidt ließ sich darauf ein und komponierte eine Kantate für die neuen Machthaber. Er starb vor ihrer Vollendung.

Eine Symphonie als Requiem

Schmidts einzige Tochter überlebte die Geburt ihres ersten Kindes nicht – ihr widmete Schmidt seine 4. Sinfonie, die er "Requiem für meine Tochter" überschrieb. Dem hr-Sinfonieorchester und seinem ehemaligen Chef Järvi liegen diese ruhigen, schmerzvollen Passagen gut. Aber auch in den gewaltigen, groß instrumentierten Teilen bleibt der Sound schlank. Järvi genießt die Klänge von Schmidt – und macht das Zuhören so zu einem Genuss. Das ist keine "Schön, dass es mal jemand gemacht hat"-Einspielung. Sondern beste Werbung für die Musik von Franz Schmidt. So bleibt dieser Name im Gedächtnis.

Franz Schmidt – Complete Symphonies

Franz Schmidt:
Symphonien 1 – 4
Intermezzo aus "Notre Dame"

hr-Sinfonieorchester
Leitung: Paavo Järvi

Label: Deutsche Grammophone

Sendung: "Piazza" am 3. Oktober 2020, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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