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Album der Woche – Antonio Pappano dirigiert Hector Berlioz' "Grande messe des morts"

Die "Große Totenmesse" von Hector Berlioz wurde wegen ihrer gigantischen Chor- und Orchesterbesetzung immer wieder als monströses Ungetüm abgetan. Dass es in Wahrheit ein introspektives, lyrisches, klanglich fein ausdifferenziertes Stück ist, zeigt Antonio Pappano mit seinem römischen Chor und dem Amsterdamer Concertgebouw-Orchester auf packende, zu Herzen gehende Weise. Im November wird der Toten gedacht – da bietet sich dieser eindringliche Konzert-mitschnitt des Requiems von Berlioz zu Reflexion und Tröstung an.

Bildquelle: Rco Live (Warner)

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Wie es sich für ein Requiem gehört, lässt Hector Berlioz seine "Große Totenmesse" in gemessenem Schritt anheben. Aus der Tiefe schraubt sich eine chromatische Basslinie heraus, die Antonio Pappano mit dem Amsterdamer Concertgebouw-Orchester feierlich und klangschön ausmusiziert. Anlass der Pariser Uraufführung 1837 war das Staatsbegräbnis eines im Algerienkrieg gefallenen Generals.

Kurz und bündig

Dieses Album wird lieben, wer …
… gern in die kühnen Klangwelten des Hector Berlioz eintaucht.

Dieses Album lohnt sich, weil …
… der italienischstämmige Antonio Pappano genau das richtige Ge-spür für das kantable, weitausgreifende Melos des Werks hat.

Dieses Album hat gefehlt, weil …
… es aufgrund des enormen äußeren Aufwands nicht allzu viele Ein-spielungen dieses außergewöhnlichen Requiems gibt.

Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil …
… die Tonmeister dieses Konzertmitschnitts die Raumklang-Effekte der Partitur brillant im Mehrkanalton eingefangen haben.

Dieses Album hört man am besten …
... an einem ruhigen November-Nachmittag.

Frühes Experiment in Sachen Quadrofonie

Wie revolutionär Berlioz zur Sache ging, zeigt sich vor allem im "Dies irae", wo der Schrecken des Jüngsten Gerichts durch vier im Raum verteilte Blechbläsergruppen angekündigt wird – ein frühes Experiment in Sachen Quadrofonie. Souverän staffelt Pappano die von allen Seiten dreinfahrenden Fanfaren im Raum. Wenn dann noch das Gewitter von sechzehn Pauken auf die Sünder herniederprasselt, wird das Heulen und Zähneklappern geradezu handgreiflich spürbar. Mit räumlichen Klangeffekten arbeitete Berlioz auch im "Lacrymosa". Vehement setzt Pappano die synkopisch gezackten Rhythmen gegen die weitgespannten Melodien des Chores. Leider schleppt der stimmstarke Chor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia an dieser heiklen Stelle.

Auf Verdi und Fauré vorausweisend

Die paar Klangexplosionen haben der Totenmesse von Berlioz den Ruf eines monströsen Ungetüms eingetragen. Zu Unrecht – nutzte der Komponist die riesige Orchesterbesetzung doch vor allem zur Ausdifferenzierung der Farbpalette, für neuartige Instrumenten-Kombinationen und feinste Nuancen. Die zu Herzen gehenden, auf Verdi und Fauré vorausweisenden Momente liegen Pappano besonders. Nur im "Sanctus" seines zehnteiligen Requiems bezieht Berlioz eine Solostimme ein – mit dem Tenor Javier Camarena hatte Pappano bei seiner Amsterdamer Aufführung eine Luxusbesetzung für die kleine Partie zur Verfügung.

Mit seinem italienischen Chor und dem agilen Concertgebouw-Orchester ist Antonio Pappano eine leidenschaftliche, klangsinnliche, dynamisch fein ausdifferenzierte Interpretation der "Großen Totenmesse" von Hector Berlioz gelungen. Hier versteht man, warum Berlioz selbst sein Requiem für seine bedeutendste Komposition hielt.

Infos zur CD

Hector Berlioz
"Grande messe des morts"
Requiem für Tenor, Chor und Orchester op. 5

Javier Camarena, Tenor
Coro dell’Accademia Nazionale die Santa Cecilia Rom
Royal Concertgebouw Orchestra Amsterdam
Leitung: Antonio Pappano

Label: RCO Live

Sendung: "Piazza" am 13. November 2021 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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