"Fast wie eine Ehe" – so empfinden die beiden ihre rund 30jährige künstlerische Zusammenarbeit: Helmut Deutsch, der Grand Seigneur der Liedbegleitung, und sein Münchner Ex-Student Jonas Kaufmann. Der ist heute längst ein weltweit begehrter Opernstar der Superklasse. Doch mit Helmut Deutsch kehrt er von Wagner und Verdi immer wieder zur intimen Liedgattung zurück. Und als coronabedingt die Bühnen im Frühjahr dicht machten, war schnell die Idee geboren, sich selbst und den aus den Konzertsälen verbannten Musikliebhabern mit einem bunten Liedprogramm eine Freude zu machen.
Bildquelle: Sony Classical
Album der Woche – 12. September 2020
Jonas Kaufmann – Selige Stunde
Dieses Lied von Alexander Zemlinsky gab dem Album den Namen: "Selige Stunde". Ansonsten gibt es kaum Raritäten in dieser populären Zusammenstellung, in der Beethovens "Adelaide" neben Silchers "Ännchen von Tharau" steht, Strauss' "Allerseelen" neben Schumanns "Mondnacht", Mozarts schüchternes "Veilchen" neben Schuberts launischer "Forelle".
Im Lied fallen kleine Mäkel wie das hauchig verschattete Piano oder angestrengte Spitzentöne natürlich besonders auf – zumal die Aufnahme angesichts geschlossener Tonstudios im privaten Rahmen stattfinden musste. Das macht andererseits auch den Reiz des Albums aus – denn so unmittelbar und direkt hat man Jonas Kaufmann wohl noch nie gehört. Und dabei zeigt sich, dass Liedgesang für ihn keineswegs nur Stimmbandgymnastik zwischen schwergewichtigen Opernrollen ist. Unterstützt von einem musikalischen Dialogpartner wie Helmut Deutsch ist er ein hervorragender Gestalter feinster Nuancen. Sein Singen ist uneitel und unsentimental, wahrhaftig, intim und berührend. Und das dunkle Leuchten seines baritonal gefärbten Tenors noch immer bezaubernd.
Dieses Album wird lieben ...
... wer gerne zugabenverdächtige Lieder in kluger Gestaltung hört; und natürlich alle Jonas Kaufmann-Fans!
Dieses Album hat gefehlt ...
... weil man dem Startenor noch nie so nahe kam.
Dieses Album hört man am besten ...
... in einer ruhigen Stunde, die dann leicht zu einer "seligen" werden könnte!
Ganz nah in dieser Aufnahme: Tenor Jonas Kaufmann | Bildquelle: Julian Hargreaves / Sony Classical Liebe, Sehnsucht, Stille, Nacht und Abschied – darum kreisen die 27 Lieder von 17 verschiedenen Komponisten. Reichlich Gelegenheit für Kaufmann, sein enormes Ausdrucksspektrum aufzufächern. Zumindest da, wo es etwas zu gestalten gibt: Alois Melichars Verkitschung einer Chopin-Etüde mit dem Titel "In mir klingt ein Lied" war bei Karel Gott genauso gut aufgehoben. Aber wie Kaufmann auf Mendelssohns "Flügeln des Gesanges" ferne Märchenwelten evoziert, in Brahms' "Da unten im Tale" volkstümlichen Ton mit leiser Bitterkeit mischt oder in Strauss' "Zueignung" von zarter Innigkeit zu leidenschaftlicher Dramatik gelangt, das ist beeindruckend.
Und wenn er mit fahler Stimme Mahlers "Ich bin der Welt abhanden gekommen" intoniert, wird klar, dass wohl auch Bekenntnishaftes in diesem bunten Album steckt. Fernab vom Weltgeschehen nur noch seinem "Lied" zu leben – das dürfte das Gefühl eines Sängers in diesen Zeiten ziemlich genau beschreiben. Wie gut, dass in der Kunst und im Traum, das Paradies ganz nahe ist!
Selige Stunde – Romantische Lieder
von Franz Schubert, Ludwig van Beethoven, Felix Mendelssohn, Richard Strauss, Johannes Brahms Alexander Zemlinsky und anderen
Jonas Kaufmann (Tenor)
Helmut Deutsch (Klavier)
Label: Sony Classical
Sendung: "Piazza" am 12. September 2020, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK