Über die große Wagner-Sängerin Kirsten Flagstad schrieb Sängerpapst Jürgen Kesting, sie – die Flagstad – konnte sich auf ihre Stimme verlassen wie ein Athlet auf seine Muskeln. Und es scheint, als ob sich da eine junge 32-jährige noch lyrische Sopranistin auf den Weg macht, auf die genau dieses Bild ebenso passt: Lise Davidsen heißt sie und sie bringt wie so viele große Stimmen aus dem hohen Norden ein wahrlich üppiges, gesundes Organ mit.
Bildquelle: Decca
Das Album der Woche zum Anhören
Auf großen Bühnen längst zuhause – in diesem Jahr wird sie die Elisabeth im Tannhäuser in Bayreuth singen und die MET steht auch schon in ihrem Terminkalender – präsentiert sie sich auf ihrer Debüt-CD bei ihrem neuen Label Decca mit verheißungsvollem Repertoire – den beiden Richards, Wagner und Strauss. Und man traut seinen Ohren kaum, wenn sie gleich im ersten Track mit leuchtender Euphorie die teure Halle der Wartburg stürmt. Da gibt es kein Halten mehr, da wird Stimme zum Entdeckungsraum, Szene beinahe überflüssig.
Dieses Album lieben wird lieben, wer…
… sich nach vielversprechenden großen neuen Wagnerstimmen sehnt.
Dieses Album muss man haben, weil…
…Mittsommer und sehnsuchtsvolle Weltenthobenheit so wunderbar zusammenpassen.
Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil…
… Elisabeth die teure Halle in herrlich jugendlichem Überschwang so strahlend stürmt.
Tief beeindruckend, welches Klangfarbentableau die junge Norwegerin abrufen kann. Leuchtende Innigkeit, versonnene Verlorenheit, aber auch dunklen Abgrund. Da läuft sich eine Sängerin warm, die bisher alles richtig gemacht hat und die auf diesem Wagner-Strauss-Parcour erkennen lässt, wohin die Reise gehen kann. Schon tauchen vor dem inneren Ohr Isolde, Brünnhilde und deren Schwestern Elektra und Turandot auf. Zukunftsmusik gewiss, und Lise Davidsen ist gut beraten, jetzt erst einmal in wonniglich-lyrischen Klangzauberwelten zu wirken und zu weben. Das tut sie allerdings mit erstaunlicher Reife.
Mit dem Philharmonia Orchestra unter der Leitung von Esa-Pekka Salonen geht Lise Davidsen auf dieser CD einen wunderschönen, überaus farbenreich nuancierten Dialog ein. Salonen bettet sie in Atmosphären voller überirdischer Suggestion und Fragilität, die Lise Davidsen zu nutzen weiß: zum Beispiel im "Morgen" aus op. 27 von Strauss, mit metaphysischer Weltenthobenheit und doch strahlend mittsommernächtlich.
Lise Davidsen präsentiert sich auf dieser CD mit einem perfekt auf ihre Stimme zugeschnittenen Programm. Gemeinsam mit dem Philharmonia Orchestra unter Esa-Pekka Salonen flutet sie das Ohr so berauschend, so intensiv und so berührend, dass man dieser großartigen Norwegerin nur wünschen kann, auch weiterhin alles richtig zu machen. Dann hat sie eine wahrlich große Zukunft vor sich und die Welt wieder eine wirklich überragende Wagner- und Strauss-Interpretin.
Richard Wagner:
"Almmächt'ge Jungfrau" & "Dich, teure Halle" aus "Tannhäuser"
Richard Strauss:
"Cäcilie" op. 27 Nr. 2
"Es gibt ein Reich" aus "Ariadne auf Naxos"
"Heimliche Aufforderung" op. 27 Nr. 3
"Malven" AV 304
"Morgen" op. 27 Nr. 4
"Ruhe, meine Seele" op. 27 Nr. 1
Wiegenlied op. 41 Nr. 1
Vier Letzte Lieder
Lise Davidsen (Sopran)
Philharmonia Orchestra
Leitung: Esa-Pekka Salonen
Label: Decca
Sendung: "Piazza" am 06. Juli 2019, 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK