Sie waren sich so nah – musikalisch. Und doch verstanden sie sich nicht – menschlich. Die Rede ist von Claude Debussy und dem knapp 13 Jahre jüngeren Maurice Ravel. Beide ließen sich von den gleichen Themen inspirieren, beide liebten die spanische und russische Musik, beide distanzierten sich von der übermächtigen deutsch-österreichischen Tradition.
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CD -Tipp 14.12.2015
Amaryllis Quartett - "Blue"
Als Debussy und Ravel sich in den Jahren nach 1900 persönlich kennen lernten, bemühten sie sich zunächst um einen netten Umgangston. Auch wenn es beiden eher unheimlich war, dass sie sich künstlerisch gegenseitig so dicht auf den Fersen waren. Ravel schickte sein Streichquartett an Debussy, er überlege, es umzuarbeiten. Debussy lobte großmütig und beschwor Ravel, bloß keine Note zu ändern. Wenig später aber kam es zum Streit. Ein Musikkritiker mokierte sich über angebliche Plagiate, ohne Namen zu nennen. Ravel verteidigte sich, Debussy war verstimmt. Fortan redeten sie nicht mehr mit-, sondern nur noch übereinander. "Was mich stört," so lästerte Debussy über Ravel, "ist sein Hang zu Taschenspielertricks."
Die beiden Streichquartette von Debussy und Ravel, die nun das Amaryllis Quartett neu auf CD eingespielt hat, sind ein gutes Beispiel für die frappierende Ähnlichkeit und die unüberhörbaren Unterschiede, für musikalische Nähe und menschliche Distanz. Debussy schrieb sein Quartett 10 Jahre früher – dass Ravels mit seinem Werk darauf antwortet, ist offensichtlich. Beide Quartette haben an zweiter Stelle einen rhythmisch akzentuierten Pizzicato-Satz: Assez vif et bien rhythmé heißt er bei Debussy, Assez vif, très rhythmé bei Ravel.
Sie nennen jedes Album nach einer Farbe: Red, White, Green. Jedes kombiniert zeitgenössische und klassisch-romantische Werke. Das Amaryllis Quartett hat für seine programmatisch durchdachten CDs viel Lob und einen Echo Klassik eingeheimst. Die vier Musiker sind Mitte dreißig, studiert haben sie beim Alban Berg Quartett. In farblich abgestimmten Blautönen haben sie sich für ihre jüngste CD fotografieren lassen: Auf ihrem Album "Blue" finden sich die Streichquartette von Debussy und Ravel sowie ein Werk, das die junge chinesische Komponistin Lin Yand dem Amaryllis Quartett gewimdet hat.
Und doch: Man spürt an jeder Note, wie verschieden die Menschen waren, die sich hier ausdrücken. Debussy eher geradeheraus, Ravel überlegter, raffinierter, vielleicht auch künstlicher. Doch hinter Ravels "Taschenspielertricks", über die sich Debussy mokierte, verbirgt sich berührende Emotionalität.
Das Amaryllis-Quartett, das unter anderen beim Alban Berg Quartett studiert hat, spielt beide Werke zupackend, pulsierend, ausdrucksvoll. An manchen Stellen hätte man sich noch mehr Klangfarben-Phantasie gewünscht. Doch das hat auch sein Gutes: Statt klischeehaft impressionistisches Parfüm zu zerstäuben, setzen die vier Amaryllis-Musiker auf rhythmischen Puls und transparenten Klang, verfügen dabei aber zugleich auch über große Sensibilität. Reizvoller Kontrast zum Ohren-Putzen zwischen den beiden so ähnlichen und doch so verschiedenen Quartetten von Debussy und Ravel ist das Streichquartett "In diesem Augenblick", das die 1982 geborene chinesische Komponistin Lin Yang dem Amaryllis Quartett gewidmet hat. Eine durchdachtes, exzellent gespieltes Album.
Claude Debussy:
Streichquartett g-Moll, op. 10
Lin Yang:
Streichquartett Nr. 1 "In diesem Augenblick"
Maurice Ravel:
Streichquartett F-Dur
Amaryllis Quartett
Label: Genuin