BR-KLASSIK

Inhalt

CD - András Schiff spielt Schubert Sonaten, Impromptus, Moments musicaux

Ein ungarischer Pianist eröffnet sein Schubert-Album mit einer ungarischen Melodie? Mit Sicherheit kein Zufall. Bei András Schiff wird man das als subtilen Kommentar verstehen dürfen.

Bildquelle: ECM New Series

CD-Tipp 11.04.2015

Franz Schubert - Klavierwerke

Als feine aber treffsichere Kritik an der Kulturpolitik der Orban-Regierung in seinem ehemaligen Heimatland, in dem er nicht mehr konzertiert, weil er sich antisemitischer Hetze ausgesetzt sieht. Schon vor vier Jahren prangerte Schiff gemeinsam mit anderen Künstlern die staatliche Einflussnahme auf Medien und Kulturinstitutionen an, jetzt stellt er ein folkloristisches Kleinod aus dem Hause Schubert auf die Pole-Position.

Abgesehen von den leisen politischen Zwischentönen werden in diesem aparten Spätstückchen noch ganz andere Nuancen zum Klingen gebracht. Nämlich die charakterlichen Eigenheiten des Hammerflügels aus der Pianowerkstatt Franz Brodmann. Lange zweifelte der klassische Konzertpianist András Schiff an den Eigentümlichkeiten historischer Tasteninstrumente. Für die zwei CDs seiner Schubertinterpretation ist er, wie er im Booklet bekennt, glücklich inspiriert von der individuellen Klanglichkeit des fast 200-jährigen Instruments. In der fragilen Balance zwischen den tiefen und hohen Registern schnurren und schnarren die Basstöne, im Diskant meint man manchmal das Schlagen eines Cimbaloms zu hören,  die geheimnisvoll akkordischen Schubert-Melodien entschweben in windstille Sphären.

Auf der Suche nach Poesie ohne Pathos

In diesen entlegenen Regionen fühlen sich der Pianist wie auch Schuberts Werke gut aufgehoben. Die beliebten Zyklen der Moments musicaux und der Impromptus D 935 spielt Schiff beseelt und einfach, mit dem Grundton sanfter Melancholie. Er forciert weder im Ausdruck noch in der vorwiegend moderaten Tempogestaltung, was besonders den beiden späten Sonaten D 894 und D 960 eine ergreifende Weite verleiht. Wie von selbst öffnet sich beim Hören der Horizont, die Abstufungen ins Pianissimo scheinen unendlich. Im Fortissimo spürt man das Holz und die Saiten, das ganze Material des Fortepianos arbeitet. Unter dieser physischen Belastung kann die scheinbar schwerelose Musik prinzipiell nicht ins Kitsch-Körperlose entgleiten. Im Gegenteil: die instrumentale Erdhaftung macht Schuberts Einfälle gerade noch viel visionärer. Der Pianist András Schiff folgt einem Bruder im Geiste, folgt dessen Gedanken, lauscht den sensiblen Schwingungen seines Instruments nach. Auf der Suche nach Poesie ohne Pathos, ein Rebell der feinen Töne.

Franz Schubert: Klavierwerke

Ungarische Melodie D 817
Klaviersonaten D 894 und 960
Moments musicaux D 780
Allegretto D 915
Impromptus D 935
András Schiff, Klavier
Label: ECM

BR-KLASSIK empfiehlt

    AV-Player