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CD - André Campra Liebe und Lust als Bindeglied zwischen Orient und Okzident

Erotischer Voyeurismus um 1700: André Campra schildert in der Ballett-Oper "L'Europe galante" das Liebesverhalten unterschiedlicher Nationen. Eine neue CD lässt Haremsdamen Messer zücken und spanische Machos Serenaden singen.

Bildquelle: © Château de Versailles

Der CD-Tipp zum Nachhören

Seien wir ehrlich: Es gibt nichts, was uns Menschen mehr fasziniert, quält und beglückt als die Liebe. Für unser eigenes Leben wünschen wir uns, dass sie gelingt und uns erfüllt. Und mit großer Neugierde beobachten wir, was das Wechselbad zwischen Ekstase und Verzweiflung bei anderen so alles anstellt.

Venus und Amor

Seitdem es die Oper gibt, geht es auch dort vor allem um die Liebe. Aber dass sich ein Bühnenstück nicht mit Göttern und antiken Helden beschäftigte, sondern mit der zwischenmenschlichen Erotik per se, das war Anno 1697 dann doch etwas Unerhörtes. Mehr noch: Die Frage, wie denn die Liebe in unterschiedlichen Ländern aussähe, ob ein feuriger Italiener ein anderes Liebesverhalten habe als eine Dame in einem orientalischen Serail, ob Spanier oder Franzosen treuer seien, diese Überlegungen also waren so gewagt, ja beinahe obszön, dass der Komponist von "L'Europe galante" zunächst anonym bleiben musste. Denn André Campra stand zum Zeitpunkt, als er seinen bunten Bilderbogen über das Liebesverhalten der Nationen vertonte, noch im Dienst des Erzbischofs von Paris. Und der, man kann es sich denken, hätte den gewagten Ausflug seines Chef-Kirchenmusikers ins schwüle Reich von Venus und Amor wohl kaum gebilligt.

Aus dem Opernhaus im Schloss von Versailles

Nun haben das Ensemble Les Nouveaux Caractères und sein Leiter Sébastien d'Hérin die Ballett-Oper "L'Europe galante" von André Campra eingespielt: Die Aufnahme aus dem Opernhaus im Schloss von Versailles atmet Witz, Lebendigkeit, Schwung und Frische. Und natürlich wird die Musik Campras erst da richtig interessant, wo sie sich weg von zeremonieller Erhabenheit in Richtung Exotismus und Lokalkolorit wagt.

Am spannendsten ist der Akt, der in einem orientalischen Serail spielt, hier klingt entfernt bereits Mozarts "Entführung" an. Eine gekidnappte Sklavin hat sich in den Sultan verliebt - André Campra gelingt eine anrührende musikalische Schilderung dessen, was moderne Psychologen Stockholm-Syndrom nennen.

Orient und Okzident

Ziemlich handfest geht es in diesem Harem zur Sache: Dolchzückende Odalisken versuchen, Nebenbuhlerinnen aus dem Weg zu räumen. Und die fröhlichen Wächter sind keine Eunuchen, sondern ein stimmgewaltiger Chor, der nicht nur den Macho-Sultan, sondern die Macht der Liebe preist. Egal nun, wo man der Göttin Venus mit mehr Raffinesse huldige: Sie vereinigt und versöhnt Orient und Okzident - und das ist doch eigentlich eine gute Erkenntnis, die uns Sébastien d'Hérin mit seinem bestens aufgelegten Ensemble hier beschert.

André Campra - L'Europe galante

André Campra
L'Europe galante
Les Nouveaux Caractères
Sébastien d'Hérin
Label: CV

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 4. November 2018, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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