Eine neue CD liegt auf dem Schreibtisch. Man kann mit dem Namen des Künstlers nicht viel verbinden, steckt aber die Silberscheibe mit mechanischer Routine in den Player, um dabei, sagen wir, eine Mail zu schreiben. Und dann geht das nicht. Weil man zuhören muss. Und weil man plötzlich unbedingt wissen will, wer da singt. Mit der Alltagsroutine ist es vorbei, die Mail bleibt ungeschrieben, bis das letzte Lied verklungen ist. Genau so ist es mir mit der Debut-CD des Baritons Andrè Schuen ergangen.
Bildquelle: CAvi-music
CD-Tipp 01.08.2015
Der CD-Tipp zum Nachhören!
Eine warme, körperhafte Stimme, eher dunkel, mit wunderbar weichem Ansatz im Piano, mit Kern und müheloser Kraft im forte. Eine Stimme, die erzählen und beschwören kann, intime Stimmungen erzeugt und dramatische Szenen vergegenwärtigt. Sie gehört dem Südtiroler Andrè Schuen, Anfang 30. Geboren im Gadertal, wo man noch die selten gewordene Sprache Ladinisch spricht. In Salzburg hat er studiert, dort sang er schon 2006 bei den Festspielen kleine Rollen. Mittlerweile singt er tragende Partien bei so berühmten Dirigenten wie Thomas Hengelbrock, René Jacobs oder Philippe Herreweghe. Aber seine Leidenschaft, so jedenfalls klingt diese CD, ist ganz offenbar das Lied.
Imponierend ist die Spannbreite unterschiedlicher Ausdruckshaltungen. Im Liederkreis von Robert Schumann findet Schuen zu wunderbar innigen und verträumten Farben, singt er im Flüsterton romantischer Geständnisse. In den "Jedermann"-Monologen von Frank Martin spielt er ebenso überzeugend die dramatischen Kraftreserven aus, über die sein Bariton verfügt.
Bewundernswert auch die Intonationssicherheit und die Sorgfalt im Umgang mit dem Text. Schuen verlässt sich eben gerade nicht auf seine eindrucksvolle Stimme. Ganz offenbar ist er ein besessener Arbeiter, einer, der mit Leidenschaft gestaltet, der sucht, nachdenkt, weiter kommen will. Am Klavier ist ihm Daniel Heide ein einfühlsamer, mitdenkender und mitatmender Begleiter. Ganz sicher: Von Andrè Schuen wird man hören. Auf der Opernbühne und im Konzertsaal, und hoffentlich auch auf vielen weiteren Lieder-CDs.
Robert Schumann:
Liederkreis op. 24
Heine-Lieder
Hugo Wolf:
Harfenspieler
Frank Martin:
Sechs Monologe aus "Jedermann"
Andrè Schuen (Bariton)
Daniel Heide (Klavier)
Label: CAvi-music